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IEP-Mittagsgespräch mit S.E. Dr. József Czukor am 18. Januar 2011: “Schwerpunkte und Ziele der ungarischen Ratspräsidentschaft”

IEP-Mittags­ge­spräch mit S.E. Dr. József Czukor, Botschafter der Republik Ungarn, am 18. Januar 2011 im Europäi­schen Haus, Berlin.

Als eine Periode der Imple­men­tierung charak­te­ri­sierte Botschafter Czukor die erste Jahres­hälfte 2011. Diese folge auf eine Phase, in der viele wegwei­sende politische Entschei­dungen getroffen wurden, etwa die Stabi­li­sierung der europäi­schen Wirtschaft betreffend.

Das Programm der ungari­schen Ratsprä­si­dent­schaft stützt sich auf vier thema­tische Säulen. Die erste Säule bündelt die Priori­täten wirtschaft­liches Wachstum, Schaffung von Arbeits­plätzen und bessere gesell­schaft­liche Integration, während die zweite Säule auf ein stärkeres Europa abzielt. Die Ziele einer bürger­freund­lichen und bürger­nahen EU sowie einer verant­wor­tungs­vollen Erwei­terung und globaler Verant­wortung runden das Programm als die beiden weiteren Säulen ab.

Die Konso­li­dierung und Stärkung der europäi­schen Wirtschaft und der Euro-Zone habe die mit Abstand oberste Priorität für Ungarn, betonte Czukor. Sechs im vergan­genen September von der Europäi­schen Kommission vorge­legte Gesetz­ent­würfe zur Einrichtung eines makro­öko­no­mi­schen Überwa­chungs­me­cha­nismus sowie zur Stärkung der Haushalts­dis­ziplin sollen bis zum Juni 2011 verab­schiedet werden und somit die wirtschafts­po­li­tische Koordi­nation der EU-Mitglieds­staaten wesentlich vorbessern. Ein weiteres Instrument sei das Europäische Semester, welches erstmals während der ungari­schen Ratsprä­si­dent­schaft durch­ge­führt werde. Auf der sozialen Agenda stehe die Europäische Plattform zur Bekämpfung der Armut, wobei ein Schwer­punkt auf die Entwicklung einer europäi­schen Rahmenstra­tegie für die Roma und auf die demogra­fische Entwicklung und Famili­en­po­litik gelegt werde. Für letztere schlage Ungarn ein Europäi­sches Jahr der Familie vor. Bei der Stärkung des Binnen­marktes spielten die Imple­men­tierung der Binnen­marktakte bis 2012 und eine besondere Förderung der kleinen und mittleren Unter­nehmen eine zentrale Rolle.

Im Folgenden erläu­terte Czukor die zweite Säule des ungari­schen Programms: ein stärkeres Europa, reali­siert durch starke Gemein­schafts­po­li­tiken. Zu diesen gemein­samen Politiken gehörten zum einen die Kohäsi­ons­po­litik, deren zukünftige Gestaltung in den nächsten Monaten intensiv disku­tiert werden solle, und zum anderen die Gemeinsame Agrar­po­litik (GAP). Die GAP müsse überprüft und moder­ni­siert werden, um auch in Zukunft eine sichere und nachhaltige Nahrungs­mit­tel­in­dustrie und die Sicherung der Lebens­mit­tel­qua­lität gewähr­leisten zu können. Dies gewinne im Licht der aktuellen Vorfälle von mit Dioxin verseuchtem Tierfutter in Deutschland noch an Bedeutung.

Ein weiterer Fokus, und laut Czukor eines der Highlights des ungari­schen Ratsvor­sitzes, sei die Schaffung einer europäi­schen Energie­po­litik. Die Verab­schiedung der beiden Strate­gie­pa­piere „Energie 2020. Eine Strategie für wettbe­werbs­fähige, nachhaltige und sichere Energie“ und „Energie­infra­struk­tur­prio­ri­täten bis 2020 und danach“ sowie die Weiter­ent­wicklung des Aktions­plans für Energie­ef­fi­zienz sollten hier voran­ge­trieben werden. Czukor wies auf die Bedeutung des Ausbaus der Energie­ver­sor­gungs­lei­tungen zwischen Nord und Süd hin und unter­strich die Notwen­digkeit eines einheit­lichen Auftretens der EU gegenüber ihren Energie­lie­fe­ranten. Der erste Energie­gipfel des Rates am 4. Februar 2011 werde sich diesen Fragen widmen.

Nicht zuletzt stünden die Förderung der makro­re­gio­nalen Zusam­men­arbeit in Form der Verab­schiedung der Donau­stra­tegie und eine Fortsetzung der Klima­ver­hand­lungen nach der Klima­kon­ferenz von Cancún auf dem Programm der Ungarn.

Die dritte Säule steht unter dem Motto einer bürger­freund­lichen und bürger­nahen EU. Als Ziele nannte Czukor hier die Umsetzung des Stock­holmer Programms, eine erste Bewertung der Imple­men­tierung der Charta der Grund­rechte und die Erwei­terung des Schengen-Raums um Rumänien und Bulgarien, wobei laut Czukor für Letztere mit politi­schen Entschei­dungen in den nächsten Monaten zu rechnen sei. Obwohl nicht Teil des acquis commun­au­taire, sei auch die kultu­relle Vielfalt Europas ein beson­derer Wert der EU, den es zu fördern gelte. In diesem Zusam­menhang plane Ungarn für das Jahr 2011 die Einführung eines Europäi­schen Kulturerbe-Siegels.

Im Rahmen der vierten Säule möchte Ungarn zunächst den EU-Erwei­te­rungs­prozess mit allen Beitritts­kan­di­daten voran­treiben, was im Spezi­ellen ein Abschluss der Beitritts­ver­hand­lungen mit Kroatien bedeute. In Bezug auf die Außen­be­zie­hungen verglich Czukor Ungarn mit einem Spieler, der auf der Ersatzbank säße, um im Notfall dem neuge­grün­deten Europäi­schen Auswär­tigen Dienst zu Hilfe zu kommen. Einen Schwer­punkt werde Ungarn jedoch auf die Östliche Partner­schaft (ÖP) legen. In diesem Rahmen werde es im Mai 2011 zum 2. Gipfel der Östlichen Partner­schaft nach Budapest einladen. Czukor erinnerte daran, dass die Staaten der ÖP mit sehr unter­schied­lichem Interesse und Engagement an und gegenüber der EU auftreten würden und es daher einen Bedarf an indivi­duell abgestimmten politi­schen Ansätzen innerhalb der ÖP gäbe.

In der anschlie­ßenden Diskussion beant­wortete Czukor unter anderem Fragen zu den Themen Minder­hei­ten­po­litik, Östliche Partner­schaft, Energie­infra­struktur und Kultur­po­litik. Zur Rolle der Ratsprä­si­dent­schaft bemerkte Czukor, dass es im Zuge der Umsetzung des Vertrags von Lissabon einen Paradig­men­wechsel gegeben habe: weg von der starken Fokus­sierung auf die Außen­ver­tretung der EU, hin zu einer Aufwertung der anderen darge­legten Politikfelder.

Auf Nachfragen zum ungari­schen Medien­gesetz ging Czukor ebenfalls ein, indem er sein Verständnis des umstrit­tenen Begriffs ausge­wo­gener Bericht­erstattung darlegte und die Zusam­men­setzung der neuen Medien­auf­sichts­be­hörde erklärte.