Sie lesen aktuell unserer Archiv. Die aktuelle Webseite befindet sich unter: iep-berlin.de
You are currently reading our archive. The current webseite is located at: iep-berlin.de/en/

Bericht zur Session des Projekts „Alternative Europa!“ bei der Europawerkstatt 2017 der JEF

Mit dem Ziel, „eine immer engere Union der Völker Europas“ (Art. 1 S. 2 EUV) zu schaffen, umschreibt das geltende Primär­recht die Finalität der EU nur sehr vage. Allein die Richtung der Integration ist vorge­geben. Stellt diese Zielvorgabe jedoch ausrei­chend Orien­tierung bereit, um die nächsten Reform­schritte anzugehen, oder benötigen Visionen für die Fortent­wicklung der europäi­schen Integration einen konkreten Zielpunkt, um auf dem Weg der Vertiefung nicht den Kurs zu verlieren?

Diese Frage stellt sich mit Blick auf die fünf Szenarien des von der Kommission vorge­legten Weißbuches genauso wie für die von „Alter­native Europa!“ selbst gewählte Aufgabe, eine konkrete Vision für das zukünftige Europa zu erarbeiten. Während Szenario 1 der Kommission die Notwen­digkeit einer Finalität negiert und Szenario 5 die klassische „finalité fédérale“ als Ziel vorgibt, lassen die Szenarien 2 bis 4 diese Frage offen. Da sich die Teilneh­me­rInnen des Kick-off-Workshops nicht einigen konnten, ob ihre Vorschläge zur Fortent­wicklung der Union an einer solchen Vorgabe orien­tiert sein oder Schritt für Schritt von Status quo ausgehen sollten, wurde diese Frage von der Task Force Finalität (moderiert von Susanne Zels, Polis180, und Julian Plottka, IEP) in einer Session der Europa­werk­statt 2017 der Jungen Europäi­schen Födera­listen erneut aufgegriffen.

Die Disku­tanten wogen dabei zuerst die Risiken und Vorteile eines an einer konkreten Finalität orien­tieren Integra­ti­ons­pro­zesses ab. Als Risiko wurde die einschrän­kende Wirkung einer festge­legten Finalität hervor­ge­hoben, die einen Ausschluss aller nicht an ihr orien­tierten Lösungen gleich­kommt. Damit büßt die europäische Integration Flexi­bi­lität ein, mit der sie über den Weg inkre­men­teller Fortent­wicklung durch kleine Schritte in der Vergan­genheit große Integra­ti­ons­schritte erreichte. Auch bindet eine gesell­schaft­liche Debatte über die Finalität Ressourcen, die zur Lösung konkreter Probleme und für konkrete Ergeb­nisse besser einge­setzt wären. Lösungs­vor­schläge für die Finalität orien­tieren sich dato außerdem vor allem am Natio­nal­staat und es fehlt an Angeboten die über diese hinaus Integration ermöglichen.

Dem gegenüber stehen die identi­fi­zierten Vorteile. So ist die Lösung konkreter Probleme derzeit nicht von insti­tu­tio­nellen Fragen zu trennen, da die bestehenden Insti­tu­tionen keine dauerhaft tragfähige Entschei­dungs­struktur bereit­stellen. Auch stelle sich die Frage, ob eine ausschließlich an konkreter Problem­lösung orien­tierte europäische Politik zu Fortschritten fähig ist. Zudem besteht die Gefahr, dass eine zu sehr am Pragma­tismus orien­tierte Politik eine langfristig unerwünschte Entwicklung nehmen und zu insti­tu­tio­neller Belie­bigkeit führen kann. Des Weiteren wird die EU von ihren Kriti­ke­rInnen häufig als bürgerfern und ungreifbar beschrieben. Ein Bekenntnis zu einer klaren Zukunfts­vision kann dieser Kritik Abhilfe leisten und ein zielori­en­tiertes Streben ein Identität stiftendes Moment entfalten. Vor dem Hinter­grund dieser Kosten-Nutzen-Abwägung waren sich die Teilneh­me­rInnen der Session schnell einig, dass weder eine weitere Integration ohne Zielori­en­tierung noch eine „finalité“ im klassi­schen Sinne, eines detail­liert beschrie­benen Endzu­standes, sinnvoll sind. Vielmehr muss die Entwicklung und anschlie­ßende Umsetzung von Reform­vor­schlägen einem Leitbild folgen, in dem die grund­le­genden Werte und Verfah­rens­normen nieder­gelegt sind, denen die Entschei­dungs­ver­fahren genügen müssen, mithilfe derer wir Europäer über Politik entscheiden. Um diese “insti­tu­tio­nellen Werte” festzu­legen, bedarf es einer gesamt­ge­sell­schaft­lichen Debatte über die Werte und Verfah­rens­normen einer post-natio­nalen Politik. Dieser Aufgabe wird sich die Task Force Finalität von „Alter­native Europa!“ nun stellen.

AutorInnen: Julian Plottka, IEP, und Susanne Zels, Polis180


Bilder