Bericht zur Session des Projekts „Alternative Europa!“ bei der Europawerkstatt 2017 der JEF
Mit dem Ziel, „eine immer engere Union der Völker Europas“ (Art. 1 S. 2 EUV) zu schaffen, umschreibt das geltende Primärrecht die Finalität der EU nur sehr vage. Allein die Richtung der Integration ist vorgegeben. Stellt diese Zielvorgabe jedoch ausreichend Orientierung bereit, um die nächsten Reformschritte anzugehen, oder benötigen Visionen für die Fortentwicklung der europäischen Integration einen konkreten Zielpunkt, um auf dem Weg der Vertiefung nicht den Kurs zu verlieren?
Diese Frage stellt sich mit Blick auf die fünf Szenarien des von der Kommission vorgelegten Weißbuches genauso wie für die von „Alternative Europa!“ selbst gewählte Aufgabe, eine konkrete Vision für das zukünftige Europa zu erarbeiten. Während Szenario 1 der Kommission die Notwendigkeit einer Finalität negiert und Szenario 5 die klassische „finalité fédérale“ als Ziel vorgibt, lassen die Szenarien 2 bis 4 diese Frage offen. Da sich die TeilnehmerInnen des Kick-off-Workshops nicht einigen konnten, ob ihre Vorschläge zur Fortentwicklung der Union an einer solchen Vorgabe orientiert sein oder Schritt für Schritt von Status quo ausgehen sollten, wurde diese Frage von der Task Force Finalität (moderiert von Susanne Zels, Polis180, und Julian Plottka, IEP) in einer Session der Europawerkstatt 2017 der Jungen Europäischen Föderalisten erneut aufgegriffen.
Die Diskutanten wogen dabei zuerst die Risiken und Vorteile eines an einer konkreten Finalität orientieren Integrationsprozesses ab. Als Risiko wurde die einschränkende Wirkung einer festgelegten Finalität hervorgehoben, die einen Ausschluss aller nicht an ihr orientierten Lösungen gleichkommt. Damit büßt die europäische Integration Flexibilität ein, mit der sie über den Weg inkrementeller Fortentwicklung durch kleine Schritte in der Vergangenheit große Integrationsschritte erreichte. Auch bindet eine gesellschaftliche Debatte über die Finalität Ressourcen, die zur Lösung konkreter Probleme und für konkrete Ergebnisse besser eingesetzt wären. Lösungsvorschläge für die Finalität orientieren sich dato außerdem vor allem am Nationalstaat und es fehlt an Angeboten die über diese hinaus Integration ermöglichen.
Dem gegenüber stehen die identifizierten Vorteile. So ist die Lösung konkreter Probleme derzeit nicht von institutionellen Fragen zu trennen, da die bestehenden Institutionen keine dauerhaft tragfähige Entscheidungsstruktur bereitstellen. Auch stelle sich die Frage, ob eine ausschließlich an konkreter Problemlösung orientierte europäische Politik zu Fortschritten fähig ist. Zudem besteht die Gefahr, dass eine zu sehr am Pragmatismus orientierte Politik eine langfristig unerwünschte Entwicklung nehmen und zu institutioneller Beliebigkeit führen kann. Des Weiteren wird die EU von ihren KritikerInnen häufig als bürgerfern und ungreifbar beschrieben. Ein Bekenntnis zu einer klaren Zukunftsvision kann dieser Kritik Abhilfe leisten und ein zielorientiertes Streben ein Identität stiftendes Moment entfalten. Vor dem Hintergrund dieser Kosten-Nutzen-Abwägung waren sich die TeilnehmerInnen der Session schnell einig, dass weder eine weitere Integration ohne Zielorientierung noch eine „finalité“ im klassischen Sinne, eines detailliert beschriebenen Endzustandes, sinnvoll sind. Vielmehr muss die Entwicklung und anschließende Umsetzung von Reformvorschlägen einem Leitbild folgen, in dem die grundlegenden Werte und Verfahrensnormen niedergelegt sind, denen die Entscheidungsverfahren genügen müssen, mithilfe derer wir Europäer über Politik entscheiden. Um diese “institutionellen Werte” festzulegen, bedarf es einer gesamtgesellschaftlichen Debatte über die Werte und Verfahrensnormen einer post-nationalen Politik. Dieser Aufgabe wird sich die Task Force Finalität von „Alternative Europa!“ nun stellen.
AutorInnen: Julian Plottka, IEP, und Susanne Zels, Polis180