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5th German-Italian Discussion Forum

Germany and Italy: Partners in a Changing EU and in Facing Global Challenges.

The 5th German-Italian Discussion Forum was dedicated — as were the alter­nating meetings in Italy and Germany of past years — to the goal of promoting the diverse relationship between Italy and Germany through an intensive dialogue of person­al­ities in the political, economic, cultural and academic life of both countries and culti­vating and expanding the long-lasting network of contacts. In doing so, the roll of Italy and Germany in a European and inter­na­tional context was consis­tenly given special attention.

Die ca. 150 Teilnehmer hatten an zwei Tagen reichlich Gelegenheit, sich im Rahmen von Plenar­sitzungen und Arbeits­gruppen sowie am Rande der Sitzungen und auch anlässlich des von S.E. dem Botschafter der Italienischen Republik in Berlin, Dr. Silvio Fagiolo, gegebenen Abendessens u.a. über folgende Themen auszutauschen:

Schwer­punkte in der Eröff­nungs­de­batte der Plenarsitzung

Zahlreiche Redner würdigten – den Eingangsstate­ments von Staatssekretär Dr. Klaus Scharioth und des ehema­ligen italienischen Außen­min­ister Lamberto Dini folgend – die tradi­tionell wenig konflik­treiche, solide deutsch-italienische Partner­schaft und den Inter­essens­gle­ichklang in den meisten EU-bezogenen Themen (z.B. Europäischer Konvent und Verfas­sungsvertrag) und in den strate­gischen Fragen der inter­na­tionalen Politik. Unter Freunden – so der allge­meine Tenor – müsse es möglich sein, Differenzen offen anzus­prechen und auch fallweise unter­schiedlicher Meinung zu sein. Das offenkundigste aktuelle Beispiel liefere hierfür das deutsche Streben nach einem Ständigen Sitz im Sicher­heitsrat der Vereinten Nationen, das von italienischer Seite kritisch bis ablehnend und als nicht vereinbar mit den eigenen Refor­müber­legungen bezüglich des Sicher­heit­srates betra­chtet werde. Demge­genüber teilen beide Länder eine enge Verknüpfung des europäischen Integra­tionsprozesses mit den transat­lantischen Beziehungen und sehen europäische Lösungen gegenüber nationalen Schritten als vorrangig an, etwa bei der Bewäl­tigung der Bedrohung durch den inter­na­tionalen Terror­ismus oder bei dem Problem der Migration aus dem Mittelmeerraum und den östlichen Nachbarstaaten.

Beide Länder haben sich seit jeher für die Überwindung der Teilung Europas engagiert und teilen eine offene Haltung in Fragen der Erweiterungspolitik der Union, einschließlich einer künftigen EU-Mitglied­schaft der Türkei. Gleiches gilt für die neue Europäische Nachbarschaft­spolitik, die während der Tagung des Forums durch die politischen Vorgänge in der Ukraine (Nichtan­erkennung der Ergeb­nisse der ersten Präsi­dentschaftswahl) und die Vermit­tlungs­be­mühungen des Hohen Vertreters für die GASP besonders akzen­tuiert wurde.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmen­daten und Poten­ziale in Deutschland und in Italien sowie in der Europäischen Union insgesamt fiel die Beurteilung durch die Teilnehmer des Gesprächs­forums unter­schiedlich aus sowohl zwischen Vertretern aus beiden Ländern wie auch zwischen Vertretern unter­schiedlicher Branchen und/oder Rednern verschiedener wissenschaftlicher Diszi­plinen und aus dem politischen Bereich. Etliche italienische Teilnehmer neigten in ihren Einschätzungen zu etwas größerem Optimismus, andere äußerten Bedenken über den wachsenden Anteil von Schat­ten­wirtschaften und konsta­tierten ein sich verstärk­endes Misstrauen gegenüber staatlichen Entschei­dungen. Wiederum andere verwiesen zusammen mit deutschen Rednern auf die gravierenden Struk­tur­probleme in beiden Ländern sowie die Probleme des Steuer- und Sozial­dumpings in insbesondere auch neuen Mitglied­staaten und die Folgen des Aufstiegs früherer Schwellen­länder auf den Märkten. Aufgrund von funda­men­talen Verän­derungen der weltwirtschaftlichen Architektur stellten einige Redner die Frage nach den noch verbleibenden „assets“ für Unternehmen in Deutschland und Italien und empfahlen den noch beste­henden Wissensvor­sprung/Know-how für die eigene Wettbe­werb­s­fähigkeit zu nutzen.

Vielfach wurde von Vertretern der Wirtschaft beider Länder ein Versagen oder zumindest eine Diskrepanz zwischen den Zielen und den Ergeb­nissen der nationalen wie europäischen Politik ausgemacht. Während einige, insbesondere aus dem politischen Bereich, die Notwendigkeit europäischer Rahmenbe­din­gungen unter­strichen, kritisierten andere z.B. die Diskrepanz zwischen den Zielen (z.B. Lissabon­strategie), einem mangelnden Fahrplan der EU und den den Unternehmen abver­langten Reform­prozessen. Beide Länder könnten sich – so eine weitere Anregung – in der EU verstärkt bei der Steuer­har­mon­isierung engagieren. Ein gemein­sames deutsch-italienisches Auftreten bei den Verhand­lungen um die nächste finanzielle Vorausschau der EU ab 2007 sei als Netto­beitragszahler sinnvoll und erwartbar. Gleiches gelte für die Verhand­lungen auf inter­na­tionaler Ebene sowie gegenüber den USA, um eine bessere Arbeit­steilung und Zusam­me­narbeit zwischen der EU und den USA zu ermöglichen.

Aus den Arbeitsgruppen

Zum Thema: Europäische Handlungs­fähigkeit in der Außen‑, Sicher­heits- und Vertei­di­gungspolitik – bisher Erreichtes und Defizite in GASP und ESVP

In der Debatte über die Leistungs­fähigkeit der EU in der inter­na­tionalen Politik wurde allgemein anerkannt, dass die EU auf dem besten Weg ist, sich zu einem weltpoli­tischen Akteur zu entwickeln. Dies sei vor dem Hinter­grund der fortschre­i­t­enden Global­isierung, an deren Mitgestaltung sich die EU zu beteiligen habe, unauswe­ichlich und werde zunehmend auch von der europäischen Bevölkerung (wie Meinung­sum­fragen bestätigen) erwartet. Dies –so eine wieder­holte Forderung – müsse in Absprache mit den Vereinigten Staaten erfolgen und nicht im Sinne einer sich von der gemein­samen Werte- und Inter­essenübere­in­stimmung zwischen der EU und den USA entfer­nenden europäischen Großmacht. Der Konflikt in der Irak-Frage habe ein warnendes Beispiel geliefert.

Gleichzeitig habe das Auseinan­der­driften der Europäer im Krieg gegen Irak nicht die Skeptiker bestätigt, wonach die Europäer eine konstruktive Kooper­ation nie bewerk­stel­ligen könnten, sondern im Gegenteil zu vereinten Anstren­gungen geführt, das außen­poli­tische Profil der EU zu verbessern. Am deutlichsten fände dies seinen Nieder­schlag in den Bestim­mungen des Verfas­sungsver­trages. Zwar wurde bedauert, dass auch nach den neuen Bestim­mungen noch immer das Einstim­migkeit­sprinzip dominant sein werde, auch wenn es über die sg. neu einge­führte Passerelle-Klausel dem Europäischen Rat in bestimmten Fällen möglich sein werde, Mehrheits­beschlüsse einzuführen und das starre System in der GASP aufzu­lockern. Hoffnung setze man insbesondere in das Amt des vorge­se­henen Europäischen Außen­min­isters für eine erhebliche Effizien­zsteigerung des Instru­men­tariums (durch Kohärenz, Trans­parenz und die Bündelung von Kompe­tenzen). Als mindestens ebenso bedeutend wurden die Ergeb­nisse bei der ESVP bewertet (Ausweitung der Petersberg- Aufgaben, Solidar­ität­sklausel, neue Formen einer flexiblen Zusammenarbeit).

Als weitere Pluspunkte für die GASP wurden ferner genannt: der inter­na­tionale Strafgerichtshof, die Balka­n­politik der EU, die Roadmap für den Nahen Osten, die Einigung mit Iran über seine Atompolitik, die Fortbildung der ESVP und insbesondere die Kooper­ation im Rahmen des militärischen und zivilen Krisen­man­age­ments, wie etwa die Übernahme der SFOR-Mission in Bosnien durch die EU verdeut­licht. Der immer noch risiko­belastete Balkan und die Nachbarschaft­spolitik mit Osteuropa und dem Mittelmeer sowie die Stabil­isierung der Ukraine gelten auch für die künftige GASP als wichtige Handlungs­felder. Dabei bedürfe es europäischer Glaub­würdigkeit und die EU müsse Antworten darauf geben, welche Anreize sie den Drittländern ohne Beitrittsper­spektive bieten könne.

Mit Blick auf die wachsenden Anforderungen an die ESVP wurde auch Kritik am Vorgehen der Mitglied­staaten laut. Im Zuge von Haushalt­skon­so­li­dierungen würden diese gerade zum falschen Zeitpunkt bei den Militäraus­gaben kürzen. Die Vertei­di­gungspolitik sei im Haushalts­bereich maßge­blich von den Mitglied­staaten abhängig, diese würden auch stark die Person­alpolitik beein­flussen. Zur Verbesserung der beste­henden Struk­turen wurde eine konstruk­tivere Zusam­me­narbeit zwischen zivilen und militärischen Diensten, welche sich neben ihren bisherigen Tätigkeits­bere­ichen auch stärker auf humane Aspekte konzen­trieren sollten, gefordert. Schließlich verlangte man von den Mitglied­staaten, im technischen Bereich stärker zu kooperieren und die Rüstungsagentur zu nutzen. Positiv bewertet wurde die Schaffung der „Battle Groups“, wo Kernka­paz­itäten konzen­triert werden müssten, um eine bessere Handlungs­fähigkeit zu erreichen (Konzept: 1–2 große Staaten übernehmen die Führung einer multi­na­tionalen Truppe und werden dabei von 1–2 kleinen Staaten unter­stützt). So könnte auch das Problem von Kommu­nika­tion­ss­chwierigkeiten multi­lin­gualer Truppen gering gehalten werden. Trans­parenz und eine bessere Aufklärung der Öffentlichkeit waren weitere Aspekte, die immer wieder als Voraus­set­zungen für die Stärkung des bisher Erreichten im Bereich der ESVP angeführt wurden.

Zum Thema: Perspek­tiven der Europäischen Verfassung – Ratifzierungs- und Implementierungsfragen

In der Arbeits­gruppe II disku­tierten die Teilnehmer zunächst Stärken und Schwächen des erreichten Reform­prozesses und des neuen Verfas­sungsver­trages. Dabei nahm man die vergan­genen ereignis­re­ichen Monate zum Anlass, um einige wichtige Fortschritte etwa in Richtung einer Parla­men­tarisierung der Union nachzuweisen. Erste Zeichen einer echten Parla­men­tarisierung und Demokratisierung der Europäischen Union habe die Investitur des Kommis­sion­spräsi­denten, bei der sich die EVP-Fraktion mit ihrem Kandi­daten Barroso gegenüber Wider­ständen im Europäischen Rat durch­setzen konnte, und die Verweigerung des Europäischen Parla­ments, die erste Barroso- Kommission einzusetzen, geliefert. Außerdem hatte nach Meinung von Teilnehmern das „Hickhack“ um den italienischen Kandi­daten Butiglione für die neue Kommis­sion­s­man­nschaft etwas weiteres Positives: überall in Europa hätten die heftigen Reaktionen einen wichtigen Beitrag zur politischen Diskussion und zur Heraus­bildung einer europäischen Öffentlichkeit geleistet.

In der Frage möglicher Szenarien für den weiteren Verlauf des Ratifizierung­sprozesses in den EU-Mitglied­staaten zeigte man sich zunächst sehr erleichtert über den positiven Ausgang der Mitglieder­be­fragung der franzö­sischen Sozial­isten. Mit deren Zusage das EU-Refer­endum in Frankreich zu unter­stützen, das voraus­sichtlich im zweiten Halbjahr 2005 stattfinden wird, könne man dem Ratifizierung­sprozess insgesamt zuver­sichtlicher entge­gensehen. Gleichzeitig wurde davor gewarnt, in jedem Land den Bürgern etwas anderes über die Verfassung zu erzählen. Die Gefahr der Verbre­itung von Falschin­for­ma­tionen sei dabei sehr groß. Um dieser vorzubeugen, mahnten Teilnehmer an, die Europäische Kommission solle sich aus ihrer passiven Haltung lösen und aktiv den Ratifizierung­sprozess in den einzelnen Mitglied­staaten unter­stützen. Andere Redbeiträge hoben ab auf den Stellenwert des Ratifizierung­sprozesses als ein Prüfstand für die Beziehungen der Länder untere­inander. Alte und bekannte Probleme würden dabei deutlich zutage treten. Deutschland und Italien seien in dieser Hinsicht unprob­lema­tisch. Auch wenn kurzzeitig in beiden Staaten über die Ratifizierung per Refer­endum disku­tiert worden sei, sei in Deutschland ein Refer­endum bisher nicht vorge­sehen und in Italien eine Volks­be­fragung zu inter­na­tionalen Verträgen ausgeschlossen. Befür­worter von Refer­enden wollten jedoch nicht auf den Hinweis verzichten, dass hierdurch durchaus eine konstruktive Debatte über Europa zwischen den Regierenden und den Bürgern erreicht werden könne. Exemplarisch erwähnt wurde die aktuelle Situation in Großbri­tannien und Tschechien.

Zu den bekannten Grund­satzfragen gehört jene, inwieweit staatliche Souveränität an die Europäische Union abgegeben wird. Die Anwendung der quali­fizierten Mehrheit gefährde poten­ziell eine Minderheit der Staaten hinsichtlich ihrer Souveränität. Auch wenn der Verfas­sungsvertrag gleichzeitig die europäischen Bürger­rechte stärke, so sei doch nicht sicher, ob dies jene Einschränkung an staatlicher Souveränität heile. Allerdings sei die wachsende Verschränkung zwischen Staaten- und Bürgerunion eine der positivsten Entwick­lungen in der Europäischen Integration. Der Ratifizierung­sprozess werde zur Verfes­tigung beider Stränge beitragen. Damit scheine der Verfas­sungsvertrag den jahrzehn­telang geführten Streit um das Ziel – Staatenbund oder Bundesstaat – in einer völlig anderen Form dauerhaft gelöst zu haben. Diesen Punkt aufgreifend, bezeichnete ein anderer Redner die Europäische Union als postmod­ernen Staat, der nicht mehr in die Kategorie der Nation­al­staaten einzuordnen sei. Allerdings sei dies nicht der wesentliche Punkt, um den sich die wissenschaftliche und politische Debatte drehen sollte. Man müsse sich sowohl in der jetzigen als auch in einer zukün­ftigen Union vielmehr um höhere oder niedrigere Transak­tion­skosten Gedanken machen. In Anlehnung an Douglas North, der die Transak­tion­skosten in den USA bei circa 25% und in der Europäischen Union bei 40% einstuft, wurde in dieser Logik für eine Verringerung der Kompe­tenzen der Mitglied­staaten plädiert. Des Weiteren sei der Wettbewerb unter den Staaten ein vernach­läs­sigter Punkt. Ein verstärkter terri­to­rialer Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union stelle ein Schlüs­se­lelement dar, um die zukün­ftigen Heraus­forderungen der Global­isierung zu meistern. Die bisherige Strategie der EU–Harmonisierung, die vor allem historisch motiviert sei und den Wettbewerb reduzieren wolle, sei zu überdenken, da ansonsten die Gefahr einer zu starren Union wachse. Die britische Diskussion um die Verfassung sei Ausdruck unter anderem genau dieser Angst – eines Verlusts an Wettbe­werb­s­fähigkeit. Andere Redner verwiesen darauf, dass ein terri­to­rialer Wettbewerb politisch so nicht gewollt sei und zum anderen die Global­isierung teilweise Wettbewerb erzeuge, vor dem die europäische Bevölkerung geschützt werden müsse, da er „perverse Züge“ annehmen könne. Die Gefahr einer Zerstück­elung Europas sei dabei zu groß.

Abschlussplenum

Im abschließenden Plenum des V. Deutsch-Italienischen Gesprächs­forums standen die aktuelle Rolle der Europäischen Union im inter­na­tionalen Kontext sowie deren zukün­ftige Entwick­lungsmöglichkeiten angesichts der Heraus­forderung nach der Vergrößerung auf 25 Mitglied­staaten im Mittelpunkt der Diskussionen.

Nach einer Einführung zum Abschlussplenum durch den deutschen Präsi­denten des Forums, Dr. Ulrich Weiss, wurde von den meisten Rednern unter­strichen, dass die EU in den Bereichen besonders wahrgenommen wird, in denen die Mitglied­staaten „an einem Strang ziehen“, wie etwa im Rahmen der Handel­spolitik, aber auch zunehmend bei GASP und ESVP. Gerade hier werde die „Verfassung“ eine wichtige Grundlage bilden, die der EU außen­poli­tisch zu mehr Gewicht verhelfen könne. Nach der Erweiterung wachse die Bedeutung einer aktiven Mitarbeit der einzelnen Mitglied­staaten. Die weitere Vertiefung der Zusam­me­narbeit und das Vorantreiben der einstigen Visionen sei nach wie vor von großer Bedeutung. Italien und Deutschland komme hierbei eine Schlüs­sel­rolle zu. Der Grundgedanke der europäischen Integration entspreche sich in dieser starken Ausprägung nur zwischen diesen zwei Partner­ländern, so die durchgängige Meinung der Konferenzteilnehmer.

Auch im Hinblick auf die Türkeifrage herrsche bei den Regierenden in Rom und Berlin ein großer Inter­es­sen­gle­ichklang, während die öffentliche Debatte in beiden Ländern starke Kritik an einer solchen Erweiterungsrunde erkennen lasse. Die Erweiterung der EU um Rumänien, Bulgarien und die Türkei werde – wie verschiedene Redner feststellten — eine neuer­liche Anpassung der europäischen Insti­tu­tionen erfordern. Diese werde – wie schon bisher – maßge­blich von den unter­schiedlichen Tradi­tionen und Leitbildern in den EU-Mitglied­staaten geprägt sein und eine beträchtliche Heraus­forderung für jede weitere Entwicklung der europäischen Integration darstellen. Bevor weitere Beitrittsper­spek­tiven eröffnet würden, so ein anderer Diskus­sion­sstrang, müsse nun zunächst eine Phase der Konso­li­dierung folgen. So sei die Annahme der „Verfassung“ gefährdet, solange z.B. keine tragfähige Lösung für die Agrar- und Struk­tur­reform existiere. Des weiteren sei zunächst innerhalb der Mitglied­staaten eine Diskussion über künftige Beitritte zu führen. Eine EU-Mitglied­schaft müsse dann letztendlich nicht nur der Türkei, sondern auch der Ukraine und vielen anderen Nachbarstaaten angeboten werden. Die strate­gische Bedeutung der Türkei dürfe mit Blick auf das Verhältnis der EU zu islamischen Staaten allerdings nicht unter­schätzt werden.

Die Europäische Nachbarschaft­spolitik wurde als ein weiteres wichtiges Handlungsfeld für die EU identi­fiziert. Auch hier konnte eine große Übere­in­stimmung zwischen den deutschen und italienischen Positionen konsta­tiert werden. Gleichzeitig wurde vor allem von italienischer Seite betont, dass die Europäische Nachbarschaft­spolitik vor Problemen stehe, denen nur begegnet werden könne, indem zwischen den zwei Kategorien von Nachbarn – Ost- sowie Süd-Anrain­er­staaten – differen­ziert werde. Zugleich, so eine andere Forderung, müsse Russland stärker in die Überlegungen einbe­zogen werden, da „der Hinterhof der EU in vielen Fällen der Vorhof Russlands“ sei.

Die transat­lantischen Beziehungen nahmen ebenfalls breiten Raum in der Debatte ein. Während einige Teilnehmer eine gute Verbindung insbesondere im wirtschaftlichen Bereich erkannten und auch weiterhin als vorrangig bedeutend beurteilten, betonten andere den Mangel an politischer Zusam­me­narbeit. So sei die derzeitige Arbeit­steilung im politischen Bereich schädlich für die weitere Entwicklung des Frieden­sprozesses im Nahen Osten. Daneben variierte die grund­sät­zliche Beurteilung der transat­lantischen Beziehungen enorm. Neben der Bezeichnung „selbstver­ständliche, gute Partner­schaft“ fielen auch Begriffe wie „Konkur­ren­zver­hältnis“ – z.B. im Hinblick auf Russland. Auch von einer zunehmenden Distanz zwischen Europa und den USA war die Rede. Diese betreffe nicht nur die Regierungszusam­me­narbeit, sondern auch die gegen­seitige Wahrnehmung auf Seiten der Bevölkerung. Als Begründung wurde die geänderte amerikanische Politik gegenüber der europäischen Integration angeführt. Zu Zeiten Kennedys seien die USA weitaus europäischer geprägt gewesen als heute. Das Leben junger Amerikaner unter­scheide sich heute stark von dem junger Europäer. Es fehle das „Bindemittel“, die gemein­samen Werte, die früher beispiel­sweise aus der gemein­samen Opposition zum Kommu­nismus resul­tierten. Folglich müsse sich Europa heute wieder verstärkt gemeinsam und neu position­ieren. Die Identität einer europäischen Außen­politik könne nur erlangt werden, wenn sich Europa als autonomes Subjekt gegenüber den USA begreife. Natürlich beinhalte eine solche gemeinsame Position­ierung keine Nivel­lierung, sondern einen „Gleichgewicht­szu­stand“, entstanden aus der Vielfalt europäischer Werte. Dieser Ansatz müsse nicht nur Washington gegenüber kommu­niziert werden, sondern gerade auch intern – insbesondere gegenüber den neuen Mitglied­staaten. Da die EU noch kein vollständiger sicher­heit­spoli­tischer Akteur sei, sei die Hinwendung kleiner und östlicher Mitglied­staaten zu den USA keine Überraschung.

Ausblick

Die breite Übere­in­stimmung in Italien und Deutschland bei zentralen europäischen Anliegen macht beide Länder zu wichtigen Akteuren, um den Fortgang des europäischen Integra­tionsprozesses sicherzustellen und zu beein­flussen. Auf beiden Seiten genießt die enge Einbindung in die europäischen Struk­turen einen hohen Stellenwert für das eigene Handeln. Ein kontinuier­licher Meinungsaus­tausch und ein abges­timmtes Verhalten mit „gleich­gesinnten“ Partnern werden vor dem Hinter­grund einer sich stetig erweit­ernden Union einen noch höheren Stellenwert erhalten. Das Deutsch-Italienische Gesprächs­forum bietet hierfür eine ausgeze­ichnete Plattform. Es ermöglicht einen offenen und kontinuier­lichen Dialog, auch über kontrovers disku­tierte Themen, zwischen Persön­lichkeiten unter­schiedlicher wissenschaftlicher Diszi­plinen sowie des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens. Die große Resonanz bei den Teilnehmern des V. Gesprächs­forums und die Inten­sität der Diskussion bestärken die Veranstalter zur Fortsetzung des Dialogs in 2005/2006.

Vor diesem Hinter­grund debat­tierten die Teilnehmer z.B. auch über das deutsche Streben nach einem Ständigen Sitz im Sicher­heitsrat der Vereinten Nationen, das von italienischer Seite kritisch betra­chtet wird. Im Hinblick auf die Europäische Nachbarschaft­spolitik wurde die Frage nach den weiteren Trans­for­ma­tion­sen­twick­lungen in der Ukraine aufge­worfen und das künftige Verhältnis der EU zu diesem Land thema­tisiert. Zum Zeitpunkt des Gesprächs­forums kämpfte allerdings die ukrainische Bevölkerung noch für eine Annul­lierung des umstrit­tenen Ergeb­nisses der Präsi­dentschaftswahlen, die letztlich am 26. Dezember 2004 wiederholt wurden.

In Fragen der Erweiterungspolitik der EU – insbesondere bezüglich einer Mitglied­schaft der Türkei – herrschte große Übere­in­stimmung zwischen den meisten deutschen und italienischen Teilnehmern, so dass dem kurz bevor stehenden EU-Gipfel in Brüssel mit positiven Erwartungen entgegen gesehen wurde. In Brüssel beschlossen die Staats- und Regierungschefs den Beginn der Beitrittsver­hand­lungen mit der Türkei im Oktober 2005.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und in Italien sowie in der Europäischen Union insgesamt fiel die Beurteilung durch die Teilnehmer des Gesprächs­forums unter­schiedlich aus. Italienische Teilnehmer neigten in ihren Einschätzungen zu etwas größerem Optimismus, waren sich aber auch mit deutschen Experten einig über die gravierenden Struk­tur­probleme in beiden Ländern sowie die Probleme des Steuer- und Sozial­dumpings in anderen (insbesondere auch neuen) Mitglied­staaten. Beide Ländern könnten sich in der EU verstärkt bei der Steuer­har­mon­isierung engagieren. Ein gemein­sames Auftreten bei den Verhand­lungen um die nächste finanzielle Vorausschau der EU ab 2007 sei erwartbar, da die Positionen Italiens und Deutsch­lands eng beieinander liegen. Die Experten betonten abschließend die Notwendigkeit einer gemein­samen Strategie gegenüber den USA, um eine sinnvolle Arbeit­steilung und bessere Zusam­me­narbeit zwischen der EU und den USA zu ermöglichen.

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