Mittagsgespräch mit Sandro Gozi und Staatsminister Michael Roth, MdB
Am 21. Februar 2019 und damit 93 Tage vor den Wahlen zum Europäischen Parlament waren Sandro Gozi, Präsident der Union der Europäischen Föderalisten, und Michael Roth, MdB, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, anlässlich unseres ersten Mittagsgesprächs im Jahr 2019 in der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin zu Gast. Grußworte hielten Richard Kühnel, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, und Dr. Otto Schmuck, Mitglied des Präsidiums der Europa-Union Deutschland, der die Bedeutung der europäischen Bewegungen in den Mitgliedstaaten der EU und die besondere Rolle der transnationalen Union der Europäischen Föderalisten für die Zukunft Europas betonte. Anschließend äußerten sich Gozi und Roth detailliert zum Thema „Rolle und Einfluss der Zivilgesellschaft in der Europapolitik in Deutschland und in Italien“. Moderiert wurde die Veranstaltung von Constanze Aka, Senior Project Managerin am Institut für Europäische Politik (IEP).
Sandro Gozi betonte, dass die Zivilgesellschaft für Europa immer eine wichtige Rolle gespielt habe. In diesem Zusammenhang verwies er auf die paneuropäische Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Allerdings sei die Zivilgesellschaft aufgrund der Legitimitätsprobleme der Europäischen Union (EU) mehr denn je gefordert, für das Projekt der europäischen Integration einzustehen. Zentrale Herausforderungen wie Migration, soziale Ungleichheit und der Klimawandel seien nur auf europäischer und globaler Ebene zu lösen. Nationale Alleingänge, wie sie vielfach von populistischen und europaskeptischen Parteien gefordert würden, seien hingegen nicht zielführend. Pro-europäisch eingestellte Parteien, aber auch die Zivilgesellschaft müssten sich hingegen vermehrt transnational organisieren und auf europäischer Ebene zusammenarbeiten. Die EuropäerInnen eine das Verständnis von der Europäischen Union als Wertegemeinschaft. Vor allem die Regierungen illiberaler Demokratien teilen heutzutage diese Werte jedoch nicht mehr, sodass die Bedeutung der Zivilgesellschaft in diesen europäischen Ländern noch zunehme. So seien die anstehenden Europawahlen die wichtigsten seit den ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 1979. Gozi konstatierte ferner, dass die sozialen Konsequenzen der Finanz- und Schuldenkrise und die mangelnde Unterstützung der europäischen Mitgliedstaaten für Italien im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik für die Zugewinne europaskeptischer Parteien in Italien verantwortlich seien.
Michael Roth knüpfte mit seinem Statement nahtlos an die Ausführungen Gozis an und appellierte an die überzeugten EuropäerInnen, die EuropaskeptikerInnen nicht aufzugeben und sich mit ihnen argumentativ auseinander zu setzen. Zudem dürfe man nicht den Fehler begehen, die Bevölkerung eines Landes mit ihrer europaskeptischen Regierung gleichzusetzen. Vielmehr müsse sich die Politik eingestehen, dass das europäische Projekt jahrzehntelang ein Elitenprojekt gewesen sei, von dem auch die akademische Elite über Programme wie ERASMUS+ profitiere. Hingegen würden Auszubildende häufig vergessen werden. Zudem forderte Roth das regelmäßige Abhalten von Bürgerkonventen, mahnte dabei jedoch an, auch europaskeptische und zweifelnde BürgerInnen einzuladen. Er kritisierte in diesem Zusammenhang ebenfalls die etablierten Parteien, denen es nicht mehr gelänge, die Bevölkerung in die Debatten zu integrieren. Stattdessen hätten insbesondere die Medien zur Stereotypenbildung und damit zu einem Vertrauensverlust zwischen den Mitgliedstaaten beigetragen. Damit habe man auch populistische Parteien unterstützt, die ihrerseits nicht an einer Lösungsfindung interessiert seien. Dementsprechend forderte Roth auch ein positiveres und emotionaleres Framing ein, das Kompetenzabgaben der Mitgliedstaaten als Souveränitätsgewinne in einer komplexer werdenden Welt einordnet.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurden vor allem Anmerkungen und Fragen von anwesenden Rapporteuren des europaweiten Projekts „#EngagEU“ vorgetragen. Konkrete Vorschläge waren u.a. die Einführung von EU-weiten Europa-Projektwochen an Schulen und die Schaffung eines Bürgerrats als Plattform zum Austausch der Zivilgesellschaft mit der Politik. Sandro Gozi unterstützte insbesondere die Forderungen nach einer verstärkten Präsenz der EU als Lehrinhalt an Schulen, während Michael Roth forderte, das Einstimmigkeitsprinzip in der EU abzuschaffen. Nationale Regierungen müssten erkennen, dass Entscheidungen der EU nicht undemokratisch seien, wenn sie den eigenen Präferenzen zuwider liefen. Stattdessen müsse der Mehrwert von Kompromissen wieder verstärkt anerkannt werden. Gozi hob zum Abschluss des Mittagsgesprächs zusammenfassend hervor, dass angesichts globaler Herausforderungen wie Migration, Klimawandel und Digitalisierung eine Bündelung der Kräfte auf europäischer Ebene notwendig sei, zu dem die Zivilgesellschaft einen wichtigen Beitrag leisten könne.
Autor: Johannes Kohls