Mittagsgespräch mit Dr. Sabine Weyand, stellv. Chefunterhändlerin für die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien
Am Freitag, 6. Juli 2018 hat unser Mittagsgespräch mit Dr. Sabine Weyand, stellvertretende Chefunterhändlerin für die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien, im Europäischen Haus, Unter den Linden 78, 10117 Berlin stattgefunden. Nach einem Grußwort von Richard Kühnel, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, sprach Frau Dr. Weyand zum Thema „Stand und Perspektiven der Brexit-Verhandlungen“.
Zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum, eine Woche nach den Beratungen des Europäischen Rates und neun Monate vor dem offiziellen Austrittsdatum des Vereinigten Königreiches aus der EU war Dr. Sabine Weyand am 06. Juli 2018 in der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin anlässlich unseres dritten Mittagsgespräches in diesem Jahr zu Gast. Als stellv. Chefunterhändlerin für die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien gab sie einen detaillierten Überblick zum Thema „Stand und Perspektive der Brexit Verhandlungen“. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Funda Tekin, Direktorin des Instituts für Europäische Politik (IEP). Parallel zu unserem Mittagsgespräch fand das Chequers-Meeting mit Theresa May statt, worauf im Hintergrundgespräch mit Sabine Weyand nicht Bezug genommen wurde.
Richard Kühnel, Leiter der Europäischen Kommission in Deutschland, führte mit einem kurzen Grußwort in die Veranstaltung ein. Er hob das bemerkenswerte Vorgehen Dr. Sabine Weyands und Michel Barniers bei den Austrittsverhandlungen hervor und hielt einen positiven Ausgang der Gespräche für wahrscheinlich, wenngleich der Weg bis dahin noch andauern würde.
In ihrem Vortrag legte Sabine Weyand den Fokus auf den aktuellen Stand der Brexit Verhandlungen mit besonderem Augenmerk auf die Ausgestaltung des Austrittsabkommens. Sie erklärte gleich zu Anfang, obwohl man versuche, ein sogenanntes „No-Deal Szenario“ zu verhindern, müsse man für alle Situationen gewappnet sein. Ein solches Szenario könne nicht gänzlich ausgeschlossen werden und daher sei dessen Vorbereitung sinnvoll, auch wenn es Ziel der EU sei, dieses zu verhindern. Ein von allen akzeptiertes Austrittsabkommen sei unerlässlich für ein geordnetes Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus den EU-Institutionen und Politiken nach 45 Jahren Integration. Nur so könne das Vertrauen geschaffen werden, auf dem die künftige Beziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich aufgebaut werden könne. 80% des Austrittsabkommens seien bereits zwischen den Unterhändlern geregelt, darunter die Garantie der Rechte der Bürger sowie die Abwicklung der aus der EU- Mitgliedschaft resultierenden finanziellen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs wie auch eine Übergangsphase bis Ende 2020, in der das Vereinigte Königreich im Binnenmarkt und in der Zollunion verbleibe, jedoch aus den Institutionen ausscheide. Noch zu regeln seien die Garantien, die das Austrittsabkommen zur Grenze zwischen Irland und Nordirland beinhalten müsse: beide Seiten hätten sich verpflichtet, im Austrittsabkommen Regelungen zu treffen, die unabhängig von der Ausgestaltung der künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindern. Die EU hatte hierzu vorgeschlagen, dass Nordirland Teil des Zollgebietes der EU sowie im Binnenmarkt für Güter bleiben solle. Dieser Vorschlag wurde von London zurückgewiesen, ohne dass die britische Seite einen Gegenvorschlag vorgelegt hätte. Ohne eine solche Regelung gebe es jedoch kein Austrittabkommen und damit auch keine Übergangsphase.
Was die künftige Beziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich angehe, verwies Sabine Weyand auf das Angebot der Staats- und Regierungschefs einer umfassenden und ehrgeizigen Wirtschaftspartnerschaft, deren Kern ein Freihandelsabkommen bilden würde. In der Zusammenarbeit im Rahmen der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, der GASP und GSVP strebt die EU eine enge Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich auf Grundlage bestehender Kooperationsmöglichkeiten mit Drittstaaten an.
Sabine Weyand betonte, dass neben einem positiven Ausgang der Verhandlungen ein zügiges Vorgehen notwendig sei, um die Weiterentwicklung der EU nicht zu blockieren. So könnten sich die EU-27 um ihre tagespolitischen und langfristigen Aufgaben jenseits des Brexits kümmern. Sabine Weyand zitierte die Worte der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Zukunft Europas wichtiger sei als der Brexit.
In der anschließenden Debatte mit dem Publikum wurde eine Vielzahl verschiedener Aspekte der Brexit-Verhandlungen, sowie die Zukunft der EU-27 diskutiert. Themen waren die externe und interne Sicherheit der EU, die Zollzusammenarbeit , Galileo, die Möglichkeit einer Fristverlängerung der Austrittsverhandlungen, das „No-Deal Szenario“, Forschungs- und Wirtschaftsbeziehungen, die zukünftigen Zypern-Beziehungen, die Nordirland Problematik, die Teilhabe des Vereinigten Königreichs am EU-Binnenmarkt und den vier Grundfreiheiten, Finanzfragen, Handelspolitik und bilaterale Abkommen, die Beziehungen zur Schweiz und zu Norwegen, Möglichkeiten zur Mobilisierung der jüngeren Generationen, Gibraltar und das Risiko einer spanischen Blockade und vieles mehr.
Ein sowohl in den Verhandlungen, als auch in der Öffentlichkeit besonders brisantes Thema ist das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zum EU-Binnenmarkt. Sabine Weyand unterstrich die Geschlossenheit der 27 EU-Staaten in den Kernfragen: die EU müsse unter allen Umständen die Integrität des Binnenmarktes, die Unteilbarkeit der vier Freiheiten des Binnenmarktes sowie die Autonomie der Entscheidungsfindung der EU wahren; “Rosinenpicken” unter den Vorteilen der EU-Mitgliedschaft sei nicht akzeptabel. Bei EU-Projekten, wie z.B. Galileo oder auch im Bereich der Forschung und Wissenschaft werde weiterhin eine enge Anbindung des Vereinigten Königreichs an die EU-27 beibehalten werden.
Die nächsten Generationen sollen noch viel stärker eingebunden werden. Sabine Weyand äußerte sich zuversichtlich, dass Projekte wie z.B. Erasmus+ junge Menschen weiterhin europaweit vernetzen werden und dadurch zivilgesellschaftliches Engagement wieder erstarken könne. Es liege an uns, die Zukunft von Morgen generationenübergreifend auszugestalten.
Zum Abschluss des Mittagsgesprächs hob sie hervor, dass das Vereinigte Königreich seinen Platz im „Circle of Friends“ finden werde. Ein positiver Ausgang der Verhandlungen sei zwar nicht garantiert, aber durchaus in Reichweite.
Wir bedanken uns herzlich bei Sabine Weyand für einen interessanten Vortrag, sowie bei Herr Kühnel für sein Grußwort und seine Gastfreundschaft.
Autorin: Theresa Rettner