Mittagsgespräch mit Botschafter Thomas Ossowski, Sonderbeauftragter des Auswärtigen Amts für den MFR
Am 6. Juni 2018 referierte Botschafter Thomas Ossowski, Sonderbeauftragter des Auswärtigen Amts für den Mehrjährigen EU-Finanzrahmen, beim Mittagsgespräch in der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin zum Thema „Perspektiven über die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen“. Richard Kühnel, Leiter der Europäischen Kommission in Deutschland hielt das Grußwort. Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Mathias Jopp, dem Direktor des Instituts für Europäische Politik (IEP).
Herr Kühnel machte die Bedeutung des Themas dieses Mittagsgesprächs direkt zu Beginn deutlich. Man stelle sich eine EU vor, in der Hunderttausende von Studierenden kein Erasmus-Stipendium erhielten, weil sich die Mitgliedstaaten nicht auf den Haushaltsrahmen einigen können. Mathias Jopp griff den Faden auf und akzentuierte den knappen zeitlichen Rahmen, wenn bis zu den Europawahlen 2019 der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) stehen soll. Zudem könnten „starke zentrifugale Kräfte innerhalb der EU“ die Verhandlungen zusätzlich erschweren. In diesem Zusammenhang verwies er auf den Brexit, europakritische Regierungen in der EU und die Ausbreitung des Populismus. In seinem folgenden Vortrag ging Botschafter Ossowski auf den Kommissionsvorschlag ein, erläuterte dazu die deutschen Prioritäten und verwies zuletzt auf die bereits detaillierteren Sektorverordnungen. Generell bezeichnete er den Vorschlag der Kommission als ambitioniert, aber auch als „guten Startpunkt“ für weitere Verhandlungen. Statt bisher 1% des Bruttonationaleinkommens der Staaten als Beitragszahlung für die EU zu verlangen, möchte die Kommission den Anteil auf 1,11% anheben. Das habe nicht nur mit dem Wegfall Großbritanniens als starken Nettozahler zu tun. Vielmehr stehe die Union vor entscheidenden makropolitischen Ausrichtungen bspw. in der Migrations- und Sicherheitspolitik, die moderne und flexible Lösungen verlangen. Daneben gehe es um die Vereinfachung der europäischen Investitionsprogramme, die bessere Verknüpfung zwischen Strukturreformen und Strukturfonds, oder die Veränderung der Berliner Formel, mit der die nationalen Umschläge in der Kohäsionspolitik berechnet werden: Ossowski unterstrich den Aspekt, dass durch den Wegfall Großbritanniens alle Länder in Zukunft einen höheren Beitrag zahlen müssten. Die EU-Kommission schlug zudem einen Rechtsstaatsmechanismus vor, mit dessen Hilfe die Kommission überprüfen könnte, ob EU-Ausgaben in einem rechtsstaatlichen gesunden Umfeld getätigt werden konnten. Deutschland begrüße hier die zugrundeliegende Überlegung, dass sich die EU auch weiterhin stärker als Wertegemeinschaft verstehen sollte. Generell machte er deutlich, dass die Bundesregierung sich offen zeige für viele Innovationen der Kommission. Wie immer sei Zeitdruck ein entscheidendes Element in den Verhandlungen. Wünschenswert wäre es allerdings, die Verhandlungen noch vor den Europawahlen 2019 abzuschließen.
In der darauffolgenden, angeregten Diskussion wurde häufig nach der Realisierbarkeit der Kommissionsvorschläge gefragt. Das Ausscheiden Großbritanniens wurde beispielsweise aufgegriffen und gefragt, ob die fehlenden Beitragszahlungen wirklich so einfach zu stemmen seien. „Wir haben keine andere Wahl“, entgegnete Ossowski, und betonte die Herausforderungen der internationalen Lage im 21. Jahrhundert und dass der MFR mit seinen Neuausrichtungen als Antwort hierauf zu verstehen sei. Kontrovers diskutiert wurde die Machbarkeit einer Kopplung der EU-Finanzhilfen an rechtsstaatliche Bedingungen in den Mitgliedstaaten.
Zusammengefasst stand dieses Mittagsgespräch erst am Anfang der Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen, so dass die Thematik noch eine ganze Weile einen zentralen Platz auf der europapolitischen Agenda einnehmen wird.
Autor: Florian Lange