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IEP-Mittagsgespräch mit Sabine Lautenschläger, Europäische Zentralbank

Das IEP-Mittags­ge­spräch zum Thema „Stabi­lität und Wachstum im Euroraum – Wer spielt die Haupt­rolle?“ mit Sabine Lauten­schläger, Mitglied des Direk­to­riums der EZB und Stell­ver­tre­tende Vorsit­zende des Aufsichts­gre­miums des Einheit­lichen Aufsichts­me­cha­nismus der Europäi­schen Zentralbank, fand am 30. Juni 2017 in der Vertretung der Europäi­schen Kommission in Berlin statt. Richard Kühnel, Vertreter der Europäi­schen Kommission in Deutschland, hielt ein Grußwort. Die Veran­staltung wurde von Prof. Dr. Mathias Jopp, Direktor des Instituts für Europäische Politik (IEP), moderiert.

Sabine Lauten­schläger zeichnete in ihrer Rede die Geschichte des Euro-Raums nach und ging auf die Rolle ein, die die Europäische Zentralbank (EZB) seit der Finanz- und Staats­schul­den­krise spielt. Die Rolle der EZB sei durch ihr Mandat einzig auf die Sicherung der Preis­sta­bi­lität beschränkt, also darauf, die Inflation knapp unter oder nahe bei zwei Prozent zu halten. Aufgrund der schwachen Wirtschaftslage und der niedrigen Inflation sei die EZB zu einer sehr lockeren Geldpo­litik gezwungen. Dies beinhaltete auch unkon­ven­tio­nelle Instru­mente wie Anlei­he­an­käufe. Lauten­schläger sieht zwar einige dieser Instru­mente kritisch, hält den expan­siven geldpo­li­ti­schen Kurs jedoch grund­legend für richtig.

Derzeit gebe die anhal­tende Erholung der Wirtschaft im Euro-Raum Anlass für Optimismus, aller­dings sei die Inflation noch nicht wieder auf einem stabilen Trend. Sobald das Ziel der Preis­sta­bi­lität auf mittlere Sicht gesichert sei, müsse die Geldpo­litik wieder norma­li­siert werden. Darauf solle die Geldpo­litik sich schon jetzt vorbe­reiten und ihre Kommu­ni­kation entspre­chend anpassen.

Die Rolle der EZB sei zwar eine wichtige, mit Blick auf Wachstum und Wohlstand im Euro-Raum müsse aber die Politik die Haupt­rolle spielen. Hier sieht Lauten­schläger sowohl die Parla­mente und Regie­rungen der 19 Länder des Euro-Raums als auch die europäi­schen Insti­tu­tionen in Brüssel in der Pflicht, da nur sie die nötigen Reformen anstoßen können und nur sie dazu demokra­tisch legiti­miert seien.

Die Vielfäl­tigkeit der Europäi­schen Union berei­chere diese in vielerlei Hinsicht, könne aber in Bezug auf die unter­schied­liche Leistungs- und Wider­stands­fä­higkeit der Volks­wirt­schaften des Euro-Raums zum Problem werden. Wenn ein Land in eine Krise gerate, betreffe dies alle Euro-Länder. Daher sei der erste Schritt, Krisen zu vermeiden. Dazu müssten die Euro-Mitglieder ihre Leistungs- und Wider­stands­fä­higkeit stärken. Vor allem müssten sie durch Struk­tur­re­formen ihre Volks­wirt­schaften zukunfts- und wettbe­werbs­fä­higer machen. Hierzu sei ein flexibler Arbeits­markt in Verbindung mit einem guten Bildungs­system, ein funktio­nie­rendes Banken­system und solide Staats­fi­nanzen, die den Regelungen des Stabi­litäts- und Wirtschafts­pakts Folge leisten, notwendig.

Da aber trotz solcher Anstren­gungen immer noch Risiken bestünden, müssten diese reduziert und effizient geteilt werden. In der jüngsten Krise sei dies über den öffent­lichen Sektor, also die Steuer­zahler, geschehen. Hier plädierte Lauten­schläger für einen europäi­schen Finanz­mi­nister mit Eingriffs­be­fug­nissen in nationale Haushalte. Dieser Finanz­mi­nister könne sicher­stellen, dass einer Haftung der europäi­schen Steuer­zahler auch eine europäische Kontrolle gegen­über­stehe. Er wäre damit Anker­punkt für eine tiefere Wirtschaftsunion.

Besser sei es aber, Risiken über den Mark zu teilen. Dazu müssten die Markt­teil­nehmer aber auch in der Lage sein, die Risiken ihrer Inves­ti­tionen zu tragen. Mit Blick auf die Banken, sei es dazu zum Beispiel wichtig, Staats­an­leihen, die bisher als risikolos galten und daher nicht mit Eigen­ka­pital unterlegt werden mussten, entspre­chend ihres tatsäch­lichen Risikos mit Eigen­ka­pital zu unter­legen. Hier gelte das Prinzip: je höher das Risiko und je mehr Anleihen eine Bank halte, desto mehr Eigen­ka­pital brauche sie auch. Damit hätte sie ein größeres Polster, um eventuelle Verlust aufzufangen.

Je mehr Risiken freiwillig über den Markt geteilt würden, desto weniger müsste bei künftigen Krisen die Steuer­zahler belastet werden. Eine europäische Kapital­markt­union böte zudem die Möglichkeit, Risiken auch über Grenzen hinweg zu teilen. In erster Linie würde eine Kapital­markt­union jedoch das Wachstum fördern, da Unter­nehmen in ihrer Finan­zierung nicht mehr alleine auf die heimi­schen Banken angewiesen wären und Sparer mehr Möglich­keiten zur Geldanlage hätten. Aller­dings sei der Aufbau einer Kapital­markt­union ein länger­fris­tiges Unter­fangen, da Kapital­märkte sehr komplex und vielfältig seien. Dennoch sei die Umsetzung der Kapital­markt­union ein Projekt von höchster Wichtigkeit, welches nicht zuletzt durch den Brexit noch an Bedeutung gewonnen habe.

In Europa gehe es aber nicht nur um Risiken, sondern auch um Chancen, um Wachstum und Wohlstand. Das Ziel müsse sein: Stabi­lität und Wohlstand für alle Bürger des Euro-Raums. Dafür biete nur ein vereintes Europa die Grundlage.

Die vollständige Rede von Sabine Lauten­schläger ist auf der Webseite der Europäi­schen Zentralbank auf Deutsch und Englisch nachzulesen.

Autor: Joshua Schlupkothen


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