IEP-Mittagsgespräch mit Reimer Böge, Mitglied des Europäischen Parlaments

Reimer Böge, Mitglied des Europäischen Parlaments, referierte beim IEP-Mittagsgespräch am 2. Juni 2017 im Europäischen Haus in Berlin zum Thema „Eine Fiskalkapazität für den Euroraum?“. Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Mathias Jopp, Direktor des Instituts für Europäische Politik (IEP). Frank Piplat, Leiter des Informationsbüros des Europäischen Parlaments in Deutschland, richtete vorab ein Grußwort an das Publikum.
Prof. Dr. Jopp verwies in seinen einleitenden Worten auf die Bedeutung des Themas im Hinblick darauf, dass ein gemeinsamer Währungsraum auch gemeinsame Instrumente benötige. So sei der Böge/Berès-Bericht zur Fiskalkapazität einer der drei großen Reformberichte des Europäischen Parlaments.
Seinen Vortrag startete Reimer Böge mit einer Einordnung des Themas in ein Gesamtkonzept, welches die Europäische Union in den nächsten vier bis fünf Jahren zu diskutieren habe. Hierunter fielen die Punkte innere und äußere Sicherheit, Migration und Grenzschutz, sowie eine Stärkung der Nachbarschaftspolitik. Mehr tun müsse man außerdem im Bereich Jugendarbeitslosigkeit und bei der Umsetzung der Klimakonferenzvereinbarungen, was durch den angekündigten Ausstieg der USA aus dem Abkommen nochmals deutlich geworden sei. Die Stabilisierung der Eurozone bilde in diesem Gesamtkonzept einen essentiellen Punkt. Bei all diesen Punkten gehe es im Grunde um die Selbstbehauptung Europas.
Auch wenn die Vergangenheit gezeigt habe, dass es strukturelle Defizite in der Eurozone gibt, könne die Entwicklung des Euroraums als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Allerdings sei man von den Ereignissen überrannt worden. In einem kurzen geschichtlichen Rückblick wies Böge auf das Versäumnis hin, kein Zahlungsbilanz-Instrument für die Eurozone eingeführt zu haben. Es gebe zwar seit den Römischen Verträgen ein solches Instrument, welches Ländern bei Problemen mit ihrer Zahlungsbilanz Garantien zur Verfügung stelle. Entsprechende Hinweise auf die Notwendigkeit eines solchen Instrumentes für den Euroraum habe es bereits 1997 von Seiten des EU-Parlaments gegeben. Die Diskussion über eine Fiskalkapazität für den Euroraum habe zuletzt durch die Wahl Macrons in Frankreich und die Vorstellung des Reflexionspapiers der Europäischen Kommission zur Wirtschafts- und Währungsunion neuen Auftrieb bekommen. Hier sei es nun vor allem wichtig, die deutsche und die französische Sicht zu vereinbaren, aber auch die übrigen Unionsmitglieder mit einzubinden. Frankreich, das ein Problem mit der Souveränitätsteilung habe, und Deutschland, das ein Problem mit der Risikoteilung habe, müssten aufeinander zugehen.
Die Idee der Fiskalkapazität für den Euroraum sei im Grunde aus zwei Überlegungen entstanden. Zum einen gebe es den ESM, welcher, so Böge, zu einem Europäischen Währungsfonds weiterentwickelt werden müsse. Diese Weiterentwicklung mache auf lange Sicht eine Änderung der europäischen Verträge notwendig. Hier herrschten aber unterschiedliche Auffassungen bei den EU-Mitgliedstaaten. Er betonte, dass ein Europäischer Währungsfonds einer zu starken Abhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds vorbeugen solle, da dieser ursprünglich zur Stützung von Schwellen- und Entwicklungsländern gegründet worden sei. Auch vermeide man so, dass der größte Beitragszahler des IWF, die USA, sich hierüber in die Debatte um die Stabilisierung der Eurozone einmischen könnte. Auf der anderen Seite habe die Erkenntnis, dass man in Zeiten des wirtschaftlichen Wachstums nicht genügend Rücklagen für spätere Haushaltskonsolidierungen gebildet habe, zur Formulierung der Fiskalkapazitätsidee geführt.
Als Alternative zur Fiskalkapazität sei die Idee einer europäischen Arbeitslosenversicherung zu nennen. Diese sei laut Böge allerdings schwierig umzusetzen, da die Sozialsysteme in den EU-Mitgliedstaaten starke Unterschiede aufwiesen. So sprach er sich klar für die Option eines „Schlechtwetterfonds“ für die Eurozone aus. Der Grundgedanke hinter dieser Fiskalkapazität sei, dass jedes Land einen anhand seines BNE berechneten Beitrag in diesen Fonds einzahle. Gerate ein Land in wirtschaftliche Schwierigkeiten, habe es durch seine Einzahlungen Anspruch auf Hilfen aus dem Fonds. Diese antizyklische Reaktion müsse klar an einen Konvergenzcode, also an Bedingungen geknüpft werden. Ziel sei es darüber hinaus, diesen Hilfsmechanismus zu automatisieren und lange Verhandlungen über die Art und Höhe der Unterstützung, wie es sie im Zuge der Finanzkrise gab, zu verhindern. Dieser automatische Mechanismus würde außerdem eine umfassende Einmischung bis in die letzte Haushaltszeile überflüssig machen. Es sei wichtig, genau solche Eingriffe zu vermeiden, da sie Verschwörungstheoretikern und Europaskeptikern den Boden bereiteten. Darüber hinaus solle sichergestellt werden, dass eine Fiskalkapazität auch offen für Nicht-Euroländer sei. EU-Mitgliedstaaten außerhalb der Eurozone dürften sich nicht als Europäer zweiter Klasse fühlen.
Nach der generellen Funktionsweise einer Finanzfazilität für die Eurozone sei zudem die Frage der Governance zu klären. Wie sollte das Amt eines möglichen Finanzministers aussehen und über welche konkreten Kompetenzen sollte dieser verfügen? Eine Möglichkeit sei beispielsweise, das Amt mit dem des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission zusammenzulegen. Hierfür seien nicht zwangsläufig Vertragsänderungen nötig. Eine Fiskalkapazität könne zunächst über Zweckgebundene Beiträge finanziert werden. Nichtsdestotrotz müsse man genau hinschauen, an welchen Stellen im Mehrjährigen Finanzrahmen man zukünftig einsparen könne; auch ein Hinterfragen von bestehenden Strukturen sei hierfür von Nöten. Der Wegfall von Rabatten im Zuge des Brexit biete eine Chance, die Diskussion um mögliche Umstrukturierungen bei den nächsten Haushaltsverhandlungen anzustoßen. Allerdings müsse man diese Diskussion mit Vorsicht angehen, um in der Vergangenheit verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Als oberste Priorität nannte Böge jedoch die Sicherstellung der Transparenz für die europäischen Bürgerinnen und Bürger.
Autorin: Petra Fischer