IEP-Mittagsgespräch mit Richard Kühnel, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland
Am 14. September 2017 fand das IEP-Mittagsgespräch mit Richard Kühnel, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, zum Thema „die Zukunft der EU-27 im Lichte der Juncker Rede und des Weißbuchprozesses“ im Europäischen Haus in Berlin statt. Prof. Michael Kreile, Humboldt Universität zu Berlin und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Direktoriums des IEP, begrüßte den Redner und die Gäste.
Herr Kühnel unterstrich zum Auftakt seines Vortrages die Aktualität und den Kontext der Rede Jean-Claude Junckers zur Lage der Europäischen Union vom 13. September 2017. In Zeiten wie diesen, in denen sich die globale Ordnung verschiebt, vielleicht sogar ins Wanken gerät, hat die EU die „Rolle eines Ankers für Stabilität“ übernommen, und den nicht nur nach innen aus Selbstzweck, sondern auch nach außen aufgrund ihrer globalen Verantwortung. Junckers Leitmotiv: „Europa hat wieder frischen Wind in den Segeln“ verkörpert einen wieder gewonnenen europäischen Antrieb, um die Krisen der Vergangenheit zu überwinden und die Themen der Zukunft der EU-27 zu bewerkstelligen. Vor allem der wirtschaftliche Aufschwung, die Wahlerfolge von pro-europäischen Parteien und der Vertrauensrückgewinn in breiten Teilen der Bevölkerung tragen signifikant dazu bei. Richard Kühnel ist sich sicher, dass die Folgen des Brexits den europäischen Antrieb nicht bremsen können. Vielmehr sollte der 29. März 2019, Großbritanniens EU-Austritt, zum neuen Aufbruch motivieren, anstatt nur als europaweiter Trauertag in die Geschichte einzugehen.
Als wesentlicher Aspekt für die Zukunft der EU-27 ist nach Kühnel „the harnessing of globalisation“ – die Zügelung und Gestaltung der Globalisierung — anzusehen, indem die Grundprinzipien und Moralvorstellungen der Europäischen Union auf diesen Prozess projiziert werden. Hierbei ist von besonderer Bedeutung, dass sowohl EU- sowie nicht EU-Staaten, gleichermaßen vom dynamischen Prozess der Globalisierung profitieren können. Neben der Globalisierung ist auch die Digitalisierung sehr wichtig für die Zukunft der EU-27. Hierbei verwies Herr Kühnel, dass allein im letzten Jahr ca. 80% der EU-Firmen durch Cyberangriffe attackiert wurden. Er forderte daher, eine stärkere europäische Kooperation und gemeinsame einheitliche Standards, um gegen Cyberattacken besser vorgehen zu können.
Des Weiteren betonte Herr Kühnel, dass es besonders wichtig sei, dass zukünftig alle 27 Mitgliedsstaaten möglichst homogen und gemeinschaftlich geschlossen voranschreiten, um ein dauerhaftes Kerneuropa zu vermeiden. Dies sei ganz im Sinne von Junckers skizziertem Zukunftsszenario. Eine zukunftsfähige EU sollte gemeinschaftliche Entscheidungen treffen, um die Währungsunion und den Schengenraum für alle Mitgliedstaaten zugänglich zu machen. Richard Kühnel betonte allerdings, dass dies nur gelingen könne, wenn hierfür die Kriterien erfüllt sind. Explizit nannte er hierbei Rumänien und Bulgarien. Diese zwei Staaten seien sehr wichtig für die Bewältigung der Migrationskrise. Es sei deshalb auch von großem europäischen und deutschen Interesse, dass diese Staaten Zugriff auf einen effektiven Datenaustausch durch das Schengen-Informationssystems (SIS) bekämen.
Abschließend hob Herr Kühnel hervor, dass Europa immer dort besonders gut funktioniere, wo die EU-Institutionen auch gut operieren können. Die Kritik vieler bezieht sich daher oft auf eine EU, die durch das Einstimmigkeitsprinzip behindert wird. Vor diesem Hintergrund sprach er sich für die volle Ausschöpfung der Passerelle- oder Brücken-Klauseln aus. Er forderte das Einstimmigkeitsprinzip in eine Qualifizierte Mehrheit umzuwandeln, damit Europa effizienter und rascher handeln könne. Parallel dazu soll die europäische Bürgerinitiative endlich leichter genutzt werden können, um die Demokratie innerhalb der EU zu stärken.
Letztendlich ist und bleibt die EU eine Union, die auf den Pfeilern der Freiheit, der Gleichheit, des Rechtes, der Humanität und der Solidarität errichtet wurde. Daher kann die EU auch weiterhin mit Selbstbewusstsein, Optimismus und Zukunftslust vorangehen.
Im Anschluss des Vortrags wurden in der Debatte mit den teilnehmenden Gästen viele Einzelaspekte diskutiert. Insbesondere wurde über den Ausbau der Wirtschafts- und Währungsunion, über Populismus und Euroskeptizismus sowie über eine Sicherheitsunion diskutiert.
Wir bedanken uns herzlich bei Herrn Kühnel für einen spannenden und visionären Vortrag und bei Herrn Prof. Kreile für die Moderation der Veranstaltung. Vielen Dank für Ihr zahlreiches Erscheinen und die lebhafte Diskussion.
Autor: Paul Leon Wagner