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IEP-Mittagsgespräch mit S.E. Dr. Rudolf Jindrák am 28. Januar 2009: “Prioritäten der tschechischen Ratspräsidentschaft”

S. E. Dr. Rudolf Jindrák, Botschafter der Tsche­chi­schen Republik, machte mit einem Vortrag im Europäi­schen Haus über die Agenda der tsche­chi­schen Ratsprä­si­dent­schaft den diesjäh­rigen Auftakt zur Reihe der Mittags­ge­spräche des IEP. Bevor Dr. Jindrák einen Überblick über die drei Priori­täten der tsche­chi­schen Ratsprä­si­dent­schaft (Wirtschaft, Energie und Europa in der Welt) gab, wies er auf die schwie­rigen Rahmen­be­din­gungen hin unter denen die Ratsprä­si­dent­schaft agiert. So sei die Umsetzung der Priori­täten nur eine Seite der Arbeit der Präsi­dent­schaft. Ebenso wichtig sei es auf aktuelle Heraus­for­de­rungen zu reagieren und die Europäische Union in der Welt zu vertreten. Als gegen­wärtige Heraus­for­de­rungen nannte er den Abschluss der Ratifi­kation des Vertrages von Lissabon, den inzwi­schen mit Hilfe der Europäi­schen Union beigelegten Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine sowie die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise.

Ferner müsse die anste­hende Europawahl im Blick behalten werden. Das Halbjahr der tsche­chi­schen Ratsprä­si­dent­schaft sei nicht der ideale Zeitpunkt langfristige Legis­la­tiv­pro­jekte zu lancieren, vielmehr gelte es eine Reihe noch offener Gesetz­ge­bungs­ver­fahren, insbe­sondere aus dem Bereich der Klima- und Energie­po­litik sowie zur Bewäl­tigung der Finanz- und Wirtschafts­krise, vor der Europawahl abzuschließen. Nichts­des­to­trotz sei die tsche­chische Ratsprä­si­dent­schaft speziell in der Frage der Energie­ver­sor­gungs­si­cherheit dabei, Akzente zu setzen.

23 Mitglied­staaten haben bisher die Ratifi­ka­ti­ons­ur­kunden zum Vertrag von Lissabon in Rom hinterlegt. Die Tsche­chische Republik gehört neben Deutschland, Polen, bei denen noch die Unter­zeichnung durch den Präsi­denten aussteht, und Irland zu jenen, die das Ratifi­ka­ti­ons­ver­fahren noch nicht abgeschlossen haben. Nach dem positiven Urteil des tsche­chi­schen Verfas­sungs­ge­richts­hofes habe die tsche­chische Regierung aber angekündigt, die Ratifi­kation in den ersten Monaten des Jahres 2009 abzuschließen. Dr. Jindrák wies darauf hin, dass die Ratifi­kation in Abgeord­ne­tenhaus und Senat ein schwie­riger Prozess sei, er zeigte sich aber zuver­sichtlich, dass die Ratifi­kation im anvisierten Zeitraum abgeschlossen werden wird. Die eigent­liche Heraus­for­derung sei aber die Ratifi­kation durch Irland. Hier gelte es die beider­sei­tigen Zusagen in eine verbind­liche Form zu bringen. Die tsche­chische Ratsprä­si­dent­schaft wolle die irische Regierung bei der Durch­führung der Ratifi­kation unter­stützen. Insgesamt bewege sich die Europäische Union langsam aber sicher auf den Abschluss des Ratifi­ka­ti­ons­prozess zu.

Als erste der drei Priori­täten der amtie­renden Rastprä­si­dent­schaft stellte Dr. Jindrák die geplanten Initia­tiven im Bereich der Wirtschaft vor. Diesem Politik­be­reich komme auch eine Schlüs­sel­rolle bei der Bekämpfung der Finanz- und Wirtschafts­krise zu. So werde der Europäische Rat im März die Wirkung des Europäi­schen Konjunk­tur­pro­gramms überprüfen und gegebe­nen­falls weitere Maßnahmen beschließen. Der ECOFIN-Rat werde sich turnus­gemäß mit dem Stabi­litäts- und Wachs­tumspakt beschäf­tigen. Die Stabi­li­täts­an­for­de­rungen dürften zwar nicht das Wirtschafts­wachstum gefährden, in der langfris­tigen Perspektive sei Stabi­lität aber für Wachstum wichtig. So stelle der Stabi­litäts- und Wachs­tumspakt einen guten Rahmen in der jetzigen wirtschaft­lichen Situation dar. Ebenso sei die Lissabon-Strategie ein gutes Mittel, das gegen die aktuelle Krise wirke und Europa inter­na­tional wettbe­werbs­fä­higer mache. Ferner müssten als Maßnahmen gegen die Krise die Geset­zesakte zur Finanz­markt­re­gu­lierung verab­schiedet werden und Europa auf dem kommenden G 20-Gipfel einheitlich auftreten.
Ein weiteres Anliegen der tsche­chi­schen Ratsprä­si­dent­schaft sei die „better regulation“, um auf diese Weise klein- und mittel­stän­dische Unter­nehmen zu entlasten. Auch die Umsetzung der Dienst­leis­tungs­richt­linie müsse voran­ge­trieben werden. Schließlich hoffe der Botschafter darauf, dass in Fragen der Arbeit­neh­mer­frei­zü­gigkeit Fortschritte erzielt werden.

Auch die zweite Priorität der tsche­chi­schen Ratsprä­si­dent­schaft „Energie“ hat durch den russisch-ukrai­ni­schen Gasstreit einen hoch aktuellen Bezug erhalten. Neben dem Klima- und Energie­paket, das es schnell umzusetzen gelte, um bei der UN-Klima­kon­ferenz Ende des Jahres in Kopen­hagen geeint auftreten zu können, habe die Frage der Energie­ver­sor­gungs­si­cherheit hohe Priorität. Dabei zeigte sich Dr. Jindrák überzeugt, dass der vom jüngsten Konflikt um Gaslie­fe­rungen ausge­hende Impuls nicht verpuffen werde, sondern die Europäische Union zum Handeln bewege. Dieser Konflikt sei kein belie­biger gewesen, sondern eine letzte Warnung aktiv zu werden. Als konkrete Projekte stünden in der Zeit der tsche­chi­schen Ratsprä­si­dent­schaft der zweite „Strategic Energy Review“, die Libera­li­sierung des Gas- und Elektri­zi­täts­marktes im Rahmen des „Dritten Binnen­markt­pakets“ sowie ein „Südkor­ridor-Gipfel“ der Trioprä­si­dent­schaft mit allen an der Nabucco-Pipeline betei­ligten Staaten an.

Die dritte Priorität der tsche­chi­schen Ratsprä­si­dent­schaft sind die Außen­be­zie­hungen der Europäi­schen Union. So werde der erste USA-EU-Gipfel mit der neuen Adminis­tration unter Obama mögli­cher­weise noch im ersten Halbjahr 2009 statt­finden. In der Europäi­schen Nachbar­schafts­po­litik, so führte Dr. Jindrák aus, gelte es das Projekt der „Östlichen Partner­schaft“ zu lancieren und die franzö­si­schen Impulse zur „Union für das Mittelmeer“ fortzu­führen. Die Verhand­lungen über das Partner­schafts­ab­kommen mit Russland müssten fortge­führt werden.
Europaweit sei zwar noch eine gewisse Erwei­te­rungs­mü­digkeit zu konsta­tieren, dennoch sehe es die tsche­chische Ratsprä­si­dent­schaft als ihre Aufgabe hier weiter­zu­ar­beiten. Die Verhand­lungen mit Kroatien müssten so weit voran getrieben werden, wie dies die Umstände erlaubten. Eine vertiefte Debatte über den Beitritt der Türkei stünde erst gegen Ende des Jahres an. Auch mit den anderen Staaten des Westbalkan müssten die Verhand­lungen weiter geführt werden.