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IEP-Mittagsgespräch mit Michael Clauß am 27. September 2011: “Aktuelle Herausforderungen deutscher Europapolitik”

Minis­te­ri­al­di­rektor Michael Clauß, Leiter der Europa­ab­teilung im Auswär­tigen Amt, sprach beim IEP-Mittags­ge­spräch in der Vertretung der Freien und Hanse­stadt Hamburg in Berlin im September zum Thema „Aktuelle Heraus­for­de­rungen deutscher Europa­po­litik“ und setzte dabei Schwer­punkte auf die Staats­schul­den­krise, die Position Deutsch­lands zum künftigen EU-Budget­rahmen sowie die Lage der EU-Beitrittskandidaten.

Die aktuelle Staats­schul­den­krise sei im Moment erster und wesent­licher Fokus deutscher Europa­po­litik. Während Portugal und Irland zunehmend einen optimis­ti­scheren Ausblick erlaubten, bleibe Griechenland aufgrund des anhal­tenden Reform­staus und einer schweren Rezession weiter ein Problemfall. Die Auszahlung der nächsten Tranchen der Griechenland-Hilfe werde sich solange verzögern, bis gefor­derte Reformen von Athen angegangen werden. Auch Italien und Spanien vermochten bereits den auf ihnen lastenden Druck mit gezielten Reformen zu mildern.

Deutschland strebe derweil eine schnellst­mög­liche Opera­tio­na­li­sierung der Europäi­schen Finanz­sta­bi­li­sie­rungs­fa­zi­lität (EFSF) an, auch wenn es in einzelnen Mitglied­staaten noch Bedenken in Bezug auf deren Ratifi­zierung gäbe. Der EFSF und mehr noch sein perma­nenter Nachfolger, der Europäische Stabi­li­täts­me­cha­nismus (ESM), würden eine wichtige Rolle in der Stabi­li­sierung der Eurozone spielen. Der ESM werde dank seines eigenen Kapital­stocks schnel­leres Eingreifen in Krisen­si­tua­tionen ermöglichen.

Bezüglich der Verhand­lungen über den EU-Budget­rahmen 2014–2020 trete Deutschland gegen steigende EU-Mittel ein. In vielen Mitglieds­staaten gäbe es bereits zu hohe Defizite, weshalb das Kommis­si­onsziel bezüglich des mehrjäh­rigen Finanz­rahmens als zu ambitio­niert angesehen werde. Die Maxime laute daher, das vorhandene Geld gezielter auszu­geben, anstatt das Budget zu erhöhen. Wichtig in diesem Zusam­menhang sei die Verbes­serung der Wettbe­werbs­fä­higkeit. Die tatsäch­lichen Verhand­lungen sollen Mitte nächsten Jahres aufge­nommen werden, mit einem Ergebnis rechne man jedoch nicht vor Ende 2012. Dem Vorschlag, eine angedachte Finanz­trans­ak­ti­ons­steuer als EU-Steuer nach Brüssel abzuführen, stehe die Bundes­re­gierung ablehnend gegenüber. Neben einem großen bürokra­ti­schen Aufwand würde dies auch Ausgleichs­for­de­rungen besonders betrof­fener Mitglied­staaten mit sich bringen.

Als weitere wichtige Bereiche neben Finanz­fragen, thema­ti­sierte Clauß die Erwei­terung der EU und des Schengen-Raums. Serbien habe über die letzten Jahre maßgeb­liche Fortschritte bei der Bekämpfung der organi­sierten Krimi­na­lität gemacht. Auch die Überstellung von Kriegs­ver­bre­chern wirke sich positiv auf die Bezie­hungen zur EU aus. Das Verhältnis zum Kosovo und dessen ausblei­bende Anerkennung seien aber weiterhin ein Problem. Grund­sätzlich gilt: je mehr sich das Land auf Kosovo zubewege, desto besser stehe es um seine Aufnah­me­chancen. Monte­negro, das bereits den Kandi­da­ten­status besitzt, habe die von Kommission und Rat gesetzten Bench­marks erfüllt, wofür es schon bald mit einer positiven Empfehlung für Beitritts­ver­hand­lungen belohnt werden könnte. Bei der Türkei hingegen sei derzeit nicht erkennbar, dass ein neues Beitritts­ka­pitel aufge­schlagen werde. Ferner gebe es beispiels­weise nach wie vor keine Verstän­di­gungs­be­reit­schaft über die Zypern-Frage, weder auf TUR- noch auf CYP-Seite.

In Bezug auf die Zukunft des Schengen-Raums sei anzumerken, dass der Regie­rungs­wechsel in Dänemark die Sorgen um den vollen Erhalt des Schengen-Besitz­standes fürs Erste entschärfe. Verhand­lungen über einen gesetz­lichen Rahmen für künftige Grenz­kon­trollen liefen aber noch.
Frank­reich, Deutschland, Finnland und die Nieder­lande hegten weiterhin Bedenken gegen den vollen Beitritt Bulga­riens und Rumäniens zum Schengen-Raum. Deutschland und Frank­reich legten dazu einen Kompro­miss­vor­schlag vor, zuerst den Luft- und Seeweg zu öffnen und unter bestimmten Voraus­set­zungen später auch den Landweg folgen zu lassen.

Nach dem Vortrag entwi­ckelte sich eine rege Diskussion über die aktuelle Staats­schul­den­krise, in der Clauß unter anderem Fragen zur Haftung Deutsch­lands und zum Euroskep­ti­zismus beantwortete.
Darüber hinaus ging Clauß auch auf Nachfragen zur Unter­re­prä­sen­tation Deutsch­lands im Europäi­schen Auswär­tigen Dienst (EAD) ein, indem er erklärte, dass die Bundes­re­publik im EAD und den EU-Insti­tu­tionen insgesamt einige sehr wichtige Posten halte.