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IEP-Mittagsgespräch mit Gunther Krichbaum, MdB: „Griechenland – wie geht es weiter?“

Gunther Krichbaum und Mathias Jopp

Im IEP-Mittags­ge­spräch stellte sich Gunther Krichbaum, MdB, Vorsit­zender des Ausschusses für die Angele­gen­heiten der Europäi­schen Union des Deutschen Bundes­tages am 30. Juni 2015 in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund der Frage „Griechenland — wie geht es weiter?“. Dr. Michael Schneider, Staats­se­kretär für Bundes- und Europa­an­ge­le­gen­heiten sowie Bevoll­mäch­tigter des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund, hielt ein Grußwort. Moderiert wurde die Veran­staltung von Prof. Dr. Mathias Jopp, Direktor des Instituts für Europäische Politik (IEP).

Das Mittags­ge­spräch fand vor dem Hinter­grund des Auslaufens des zweiten Hilfs­pro­gramms sowie dem anste­henden Referendum in Griechenland statt, bei dem die griechische Bevöl­kerung über Akzeptanz oder Ablehnung von Sparauf­lagen der Gläubiger für Hilfs­gelder abstimmt. Mit einem Rückblick auf die Umstände der Einführung des Euros in Griechenland sowie die Auswir­kungen der Finanz­krise führte Krichbaum in die Proble­matik der griechi­schen Staats­schul­den­krise ein. Laut Krichbaum sei Griechenland durch die unzurei­chende Absorption von Hilfs­mitteln aus den Kohäsi­ons­fonds in den vergan­genen Jahren sowie durch die mangelnde Reform­be­reit­schaft auch in der gegen­wär­tigen Krise als Sonderfall zu betrachten. Zu bedauern sei, dass Griechenland den durch die Hilfs­zah­lungen entstan­denen Kosten­vorteil nicht effizient genutzt, sondern durch soziale Zusatz­leis­tungen wie die der dreizehnten Monats­rente regel­recht „verfrüh­stückt“ habe. Der Abbruch der Zusam­men­arbeit mit der Troika und der zuneh­mende Alleingang der griechi­schen Regierung hätten schließlich zu der Ausnah­me­si­tuation geführt, in der zum ersten Mal ein Nicht-Entwick­lungsland seiner Zahlungs­pflicht gegenüber dem IWF nicht nachkommen konnte. Auch das geplante griechische Referendum sei äußerst fragwürdig, da es die griechische Bevöl­kerung – angesichts der bereits erfolgten Ablehnung der Gläubi­ger­vor­schläge durch ihre Regierung – nicht vor eine inhalt­liche Entscheidung stelle. Das Ergebnis des Referendums könne daher besten­falls als eine Zustimmung zum oder Ablehnung des Euros inter­pre­tiert werden.

Im zweiten Teil seines Vortrags wies Krichbaum auf die möglichen Konse­quenzen einer griechi­schen Staats­in­solvenz hin, die einen Wegfall staat­licher Gehälter und Renten, die mögliche Einführung einer neuen Landes­währung und einen Infla­ti­ons­schock nach sich ziehen könnte. Weitere Notfall­kredite im Rahmen des „Emergency Liquidity Assis­tance“ (ELA) könne Griechenland dann nicht mehr von der EZB erwarten. Besonders proble­ma­tisch würde die Einführung der Landes­währung dadurch, dass Griechenland weder Exportland noch ein klassi­scher Agrar­pro­duzent sei – mit der Konse­quenz, dass die einge­führten Produkte wie Öl, Autos, Ersatz­teile etc. sich um den Faktor der Abwertung verteuern könnten. Der griechi­schen Wirtschaft wäre dann der Zugang zu Krediten verwehrt und es entstünde eine Pleite­welle in einem Ausmaß, wie es sie bisher noch nie zuvor gegeben habe.

Für Europa bestehe, so Krichbaum, höchstens eine Gefahr von psycho­lo­gi­schen Effekten, es müsse aber keine Anste­ckungs­ef­fekte befürchten. Ersteres sah er durch das starke Engagement griechi­scher Banken in Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Serbien begründet, indem Geldan­leger ihr Vertrauen in die dortigen Tochter­ge­sell­schaften griechi­scher Kredit­in­stitute verlieren könnten, obwohl diese eigentlich unabhängig agierten. Anste­ckungs­ef­fekte seien aufgrund der geringen Zahl der Privat­gläu­biger hingegen beherrschbar. Eine weitere Gefahr für Europa bestehe darin, die Glaub­wür­digkeit der EU durch ein zu geringes Durch­set­zungs­ver­mögen zu verlieren. Daher sei es im Interesse der EU, die eigenen Prinzipien und Grund­sätze weiter zu erhalten und somit auch das Risiko­po­tential für Speku­la­ti­ons­an­griffe gering zu halten.

Langfristig komme es jedoch vor allem auf den Willen der griechi­schen Regierung an, Reformen, wie sie auch jüngst in Lettland durch­ge­führt wurden, zu erlassen. Zudem benötige Griechenland eine funktio­nie­rende staat­liche Infra­struktur, die das Eintreiben von Steuern und eine effiziente Umver­teilung der finan­zi­ellen Ressourcen ermög­liche. Reform­bedarf sah er vor allem bei den bestehenden Steuer­ober­grenzen, welche Spitzen­ver­diener immer noch begüns­tigten. In diesem Zusam­menhang bedauerte Krichbaum, dass Griechenland bisher nicht Gebrauch von den zahlreichen Hilfs­an­ge­boten anderer Mitglied­staaten gemacht habe, um z.B. seine Kommunal- oder Steuer­po­litik mit deren Hilfe zu verbessern.

In der anschlie­ßenden angeregten Diskussion mit dem Publikum gab es Gelegenheit, über gegen­wärtige Strategien der Verhand­lungs­partner, mögliche Szenarien für Griechenland und Europa sowie Instru­mente der Krisen­be­wäl­tigung zu sprechen. Die Frage, ob gemäß der einstigen Aussage der Bundes­kanz­lerin „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ mit dem Ausstieg Griechen­lands aus dem Euro auch eine Krise des politi­schen Europas verbunden sei, verneinte Krichbaum, da es sich lediglich um die Krise einzelner Länder in der Eurogruppe, nicht aber um eine Eurokrise handele und der Euro nach wie vor ein stabiles Währungs­in­strument darstelle. Wie genau ein Ausstieg Griechen­lands aus dem Euro funktio­nieren könne, blieb auf Grund der ungeklärten EU-Rechtslage offen. Fest stehe jedoch, dass derzeit nur eine Regelung für den Austritt eines Mitglied­staates aus der gesamten EU – nicht aber aus der Eurogruppe – bestehe. Ob als Parallel- oder Haupt­währung, der Euro bleibe erst einmal Zahlungs­mittel in Griechenland, so Krichbaum. Der Frage, wie in einem Extrem­sze­nario mit einem fragilen Griechenland umgegangen werden könne, setzte Krichbaum entgegen, dass die EU in solch einem Fall die notwendige humanitäre Hilfe leisten müsse, um ein „Abdriften“ Griechen­lands zu verhindern. Dabei dürfe jedoch die Souve­rä­nität des griechi­schen Staates nicht verletzt werden. Falls es zu weiteren Verhand­lungen über Hilfs­maß­nahmen komme, wäre aufgrund des inter­gou­ver­ne­men­talen Charakters von Rettungs­pa­keten auch die Zustimmung des deutschen Bundes­tages erforderlich.

Von: Juliane Giesen


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