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IEP-Mittagsgespräch mit Dr. h.c. Gernot Erler, MdB: „Das Neue Russland als Herausforderung für die europäische Politik“

Katrin Böttger und Gernot Erler

Das IEP-Mittags­ge­spräch mit Dr. h.c. Gernot Erler, Mitglied des Bundes­tages und Koordi­nator für die zwischen­ge­sell­schaft­liche Zusam­men­arbeit mit Russland, Zentral­asien und den Ländern der Östlichen Partner­schaft des Auswär­tigen Amtes, fand am Dienstag den 22. September in der Vertretung des Saarlandes beim Bund zum Thema „Das Neue Russland als Heraus­for­derung für die europäische Politik“ statt. Moderierend leitete Dr. Katrin Böttger, stell­ver­tre­tende Direk­torin des Instituts für Europäische Politik (IEP) durch die Veran­staltung, bei der 170 Teilnehmer aus Deutschland, Ungarn, Polen, Portugal, Lettland, Finnland, Estonia, Slowakei, Litauen, Bulgarien, Rumänien, Spanien, Belgien, der Tsche­chi­schen Republik, Dänemark und Schweden teilnahmen.

Nach einer kurzen Einführung von Frau Böttger begann Herr Erler seine Ausfüh­rungen, die er in drei Abschnitte aufteilte: 1. Die Partner­schaft mit Russland, 2. Die Ukraine-Krise und ihre Bedeutung für die EU/Russland-Bezie­hungen und 3. Die Zukunft der Bezie­hungen, d.h. Quo vadis?

Erler zufolge durch­lebte die Russische Föderation mit der Europäi­schen Union seit 1990 rückbli­ckend ein Verhältnis der „ignorierten Entfremdung“: Während sich aus Sicht der EU eine gemeinsame und strate­gische Partner­schaft mit Russland durch die regel­mäßig statt­fin­denden EU/Russland-Gipfel und die sich inten­si­vie­renden zivil­ge­sell­schaft­lichen und wirtschaft­lichen Verbin­dungen entwi­ckelt habe, entfremdete sich Russland zunehmend vom Gedanken einer kongru­enten Inter­es­sens­findung. Positive Wegmarken seien die gemein­samen Jugend­aus­tausche, die Vorbe­reitung der Osterwei­terung und der gemeinsame NATO-Russland-Rat 2002 gewesen, so Erler. Diese positive Sicht auf die Entwick­lungen sei jedoch von Russland nicht geteilt worden. Einen entschei­denden Faktor bildeten die farbigen Revolu­tionen in der Ukraine, Georgien und Kirgistan. Eine wichtige Wegmarke sei die Wiederwahl Putins zum Präsi­denten im September 2011 gewesen, die von Wahlfäl­schungen und Massen­pro­testen der Opposition begleitet wurde, führte Erler zum Verhältnis der „ignorierten Entfremdung“ aus.

Das Ausein­an­der­driften der jewei­ligen Perzeption und die Ignorierung und Blockierung der Olympi­schen Winter­spiele von Sotchi (2014) habe schließlich dazu geführt, dass sich zwei unter­schied­liche Narrative der gegen­sei­tigen Wahrnehmung herausbildeten.

Im zweiten Abschnitt seiner Ausfüh­rungen unter­strich Erler, dass die Ukraine-Krise den seit Ende des Kalten Krieges tiefsten Konflikt zwischen den westlichen Nationen und der Russi­schen Föderation darstelle und als Basis für eine zukünftige und gemeinsame europäische Politik aufge­ar­beitet werden müsse. Dabei sei ein Blick auf die histo­ri­schen Ursachen notwendig. Die Ukraine-Krise gehe auch auf die Europäische Nachbar­schafts­po­litik zurück, in der die EU ihr Verständnis der grenz­über­schrei­tenden Zusam­men­arbeit in Europa auf die außerhalb der EU liegenden Staaten ausge­weitet habe. Das schon 2012 mit der Ukraine ausge­han­delte Abkommen AA/DCFTA sei von russi­scher Seite als eine Überschreitung roter Linien angesehen worden. Darüber hinaus hätte es in Russland Befürch­tungen gegeben, dass die Farbigen Revolu­tionen als Vorbild für die russische Opposition dienen könnten. Diese Langzeit­be­lastung der bilate­ralen Bezie­hungen führte nach Erlers Ausfüh­rungen zu einem Vertrau­ens­verlust, der zu einer gewissen Konfron­ta­ti­ons­be­reit­schaft inklusive militä­ri­scher Eskalation führte. Den Umgang mit dem Konflikt in der Ukraine bezeichnete Erler als Heraus­for­derung für die Europäische Union und besonders für Deutschland, das im nächsten Jahr den Vorsitz der OSZE übernehmen wird. Oberste Priorität habe die Beendigung der Kampf­hand­lungen und die Herbei­führung einer politi­schen Lösung, die durch die verhängten Wirtschafts­sank­tionen forciert werden soll. Dabei stehe, wie Erler auch während der Diskussion betonte, weniger die wirtschaft­liche Schädigung als eher das Setzen eines politi­schen Signals im Vordergrund.

In seinem dritten und letzten Abschnitt ging Erler auf die weitere Entwicklung der EU/Russland-Bezie­hungen ein und hob insbe­sondere die innen­po­li­ti­schen Entwick­lungen in Russland mit dem Agenten­gesetz und dem Gesetz gegen unerwünschte auslän­dische Organi­sa­tionen hervor. Obgleich durch eine repressive Gesetz­gebung in Russland die Arbeit von zivil­ge­sell­schaft­lichen Organi­sa­tionen zunehmend gehemmt werde, müsse eine Annäherung durch einen gemein­samen Dialog statt­finden, so Erler.

Die konstruktive Teilnahme Russlands bei den Atomver­hand­lungen mit dem Iran, die Auffor­derung zur Gründung einer Antiter­ror­ko­alition gegen den IS in Syrien sowie die kürzlich aktive Einwirkung auf die Separa­tisten in der Ostukraine machten jedoch deutlich, dass die Russische Föderation weniger an einer Isolierung und Eskalation des Konfliktes in der Ukraine, sondern eher an einer Ausrichtung nach Westen inter­es­siert sei, so Erler. Noch sei der Gesprächs­faden nicht abgerissen, betonte er abschließend.

 

Von: Bastian Hennigfeld

 

Die Veran­staltung fand im Rahmen des Projekts “Eastern Neigh­bours and Russia: Close links with EU citizens — ENURC” statt und wurde mit der Unter­stützung von Europe for Citizens Programme of the European Union finanziert.


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