IEP-Mittagsgespräch mit Dr. Andreas Schockenhoff am 23. April 2012: “Deutschland und Frankreich als alter und neuer Kern Europas”
Dr. Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages und Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe, sprach am 23. April 2012 beim IEP-Mittagsgespräch im Europäischen Haus Berlin zum Thema „Deutschland und Frankreich als alter und neuer Kern Europas“. Dabei unterstrich er die Bedeutung Deutschlands und Frankreichs im Hinblick auf die europäische Integration auch in einer Union mit 27 Mitgliedstaaten. Zugleich machte Schockenhoff darauf aufmerksam, dass dieser Kern sich im Sinne der verstärkten Zusammenarbeit weitere Partner für Integrationsprojekte suchen müsse.
Hinsichtlich des Wahlkampfes zu den Präsidentschaftswahlen in Frankreich, dessen erster Wahlgang am Vortag stattgefunden hatte, stellte Schockenhoff fest, dass dieser zum ersten Mal von europäischen Themen geprägt worden sei. Er unterstrich, dass Amtsinhaber Nicolas Sarkozy mit einer notwendigen, aber wenig beliebten Austeritätspolitik geworben habe. Der sozialistische Gegenkandidat und Führende des ersten Wahlgangs François Hollande hingegen habe angekündigt, dass er den europäischen Fiskalpakt, der am 2. März 2012 von allen Mitgliedsländern der Europäischen Union außer der Tschechischen Republik und Großbritannien unterzeichnet worden war, nicht ohne eine Wachstumskomponente ratifizieren würde. Sollte ein gewählter Präsident Hollande diese Position aufrechterhalten, könnte der Fiskalpakt im Bundestag nicht ratifiziert werden, so Schockenhoff weiter.
Im Hinblick auf den Nato-Gipfel in Chicago am 20./21. Mai 2012 machte Schockenhoff darauf aufmerksam, dass eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ohne Großbritannien nicht zu realisieren sei. Ziel sei es, im Sinne der „Smart-Defense“ Verteidigungsinfrastrukturen zusammenzulegen und zu koordinieren (pooling and sharing). In der anschließenden Diskussion machte Schockenhoff nochmals deutlich, dass dies nur mit einer stärkeren Beteiligung der Parlamente zu realisieren sei. Auch in diesem Politikbereich komme es jedoch auf eine Vorreiterrolle Deutschlands und Frankreichs an.
Nach Schockenhoffs Lesart befindet sich Europa gegenwärtig nach Nachkriegsaussöhnung und vertiefter Integration in einer dritten Integrationsphase der Selbstbehauptung in einer globalisierten und zunehmend multipolaren Welt. Unabhängig von kurzfristigen Erwägungen und dem Ergebnis der französischen Präsidentschaftswahl käme es darauf an, diese auf europäischer Ebene konstruktiv zu gestalten. Hierzu gelte es, nicht über die Abgabe von Souveränität zu diskutieren, die der Nationalstaat ohnehin nicht mehr halte, wie er am Beispiel der Überlegungen, das Schengener Abkommen aufzuweichen, verdeutlichte. Europaskeptischen Reflexen der Bürger sollte man vielmehr mit konstruktiven Lösungen auf europäischer Ebene begegnen, so Schockenhoff.
Abschließend unterstrich Schockenhoff unabhängig vom Ergebnis des zweiten Wahlgangs der Präsidentschaftswahlen in Frankreich und in Hinblick auf die gemeinsame Sitzung von Bundestag und Assemblée Nationale am 22. Januar 2013 anlässlich der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum des Élysée-Vertrags die Bedeutung der Parlamente für die deutsch-französische Freundschaft.