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German-Nordic-Baltic Forum “The EU as an International Actor – Foreign Policy Priorities as seen from a German, Nordic and Baltic Angle”

Nils DAAG, Deputy Director General and Head of the Security Policy Department, Swedish Ministry for Foreign Affairs, Stockholm; Lauri LINDSTRÖM, Director General, Policy Planning Department, Estonian Ministry of Foreign Affairs, Tallinn; Prof. Dr. Mathias JOPP, Director, Institut für Europäische Politik, Berlin; Dr. Ernst REICHEL, Head of Division for Russia, Ukraine, Belarus and Moldova, Federal Foreign Office, Berlin; Dr. Atis LEJINS, Director and Chairman of the Board, Latvian Institute of International Affairs, Riga

Am 29. und 30. Oktober 2008 veran­staltete das Institut für Europäische Politik (IEP) in Berlin erstmalig das German-Nordic-Baltic Forum. Unter dem Titel “The EU as an Inter­na­tional Actor – Foreign Policy Priorities as seen from a German, Nordic and Baltic Angle” versam­melte das Forum 45 hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissen­schaft, die sich in vier Podiums­dis­kus­sionen über die EU-Russland Bezie­hungen, die Europäische Nachbar­schafts­po­litik, Europas Energie- und Klima­po­litik sowie die Zukunft des Vertrages von Lissabon austauschten.

Die EU-Russland Bezie­hungen: Rahmen­be­din­gungen und Zukunftsperspektiven

Unter dem Titel „Defining the EU-Russia Relati­onship“ konzen­trierte sich das erste Podium auf aktuelle Rahmen­be­din­gungen sowie Optionen für die Weiter­ent­wicklung der EU-Russland Bezie­hungen. Die Kaukasus-Krise, die aufgrund der russi­schen Bereit­schaft zur Anwendung militä­ri­scher Gewalt und der Infra­ge­stellung von Grenzen eine Zäsur in den Bezie­hungen Europas zu Russland bedeutete, war dabei der aktuelle Anlass, vor dessen Hinter­grund das EU-Russland Verhältnis neu zu bewerten war.
Während über Fragen nach der zukünf­tigen Ausrichtung russi­scher Außen­po­litik kontrovers disku­tiert wurde, bestand Konsens über die grund­le­genden Inter­essen der Europäi­schen Union in ihrer Beziehung zu Russland. Die Podiums­teil­nehmer waren sich einig, dass starke Inter­de­pen­denzen zwischen Russland und der EU Koope­ra­tionen in verschie­denen Politik­feldern notwendig machten. So sei etwa eine zukunfts­fähige europäische Sicher­heits­po­litik ‚gegen’ Russland ebenso wenig vorstellbar wie eine globale Klima­po­litik ohne den russi­schen Partner.
Die Frage nach der Handlungs­fä­higkeit der EU leitete schließlich über zu den Instru­menten europäi­schen Handelns. Diesbe­züglich wurde das von EU-Ratsprä­sident Nicolas Sarkozy voran­ge­triebene Krisen­ma­nagement einstimmig gelobt. Zudem wurde mehrheitlich betont, die Gemeinsame Außen- und Sicher­heits­po­litik (GASP) habe sich in der Georgien-Krise als effek­tives Instrument erwiesen.
Mit Blick auf die Zukunft betonten die Podiums­teil­nehmer, dass eine offene und regel­mäßige Konzer­tierung zwischen Moskau und Brüssel essen­tiell sei. Gleich­zeitig müsse die EU jedoch ‚red lines’ definieren, um Russland klare Grenzen aufzu­zeigen. In diesem Sinne stehe die EU vor der Heraus­for­derung, in den Bezie­hungen zu ihrem wichtigen und zugleich schwie­rigen Partner Russland eine Balance zwischen Dialog und begrün­deter Kritik zu finden.

Chancen und Perspek­tiven der Europäi­schen Nachbarschaftspolitik

Aktueller Stand und Perspek­tiven der Europäi­schen Nachbar­schafts­po­litik (ENP) waren Thema des zweiten Podiums. Im Mittel­punkt der Diskussion stand die geogra­phische Ausrichtung der ENP sowie ihre bishe­rigen Erfolge. Mit der Union für das Mittelmeer und der schwe­disch-polni­schen Initiative zur engeren Anbindung der östlichen Nachbarn an die EU wurden verschiedene Formate der Koope­ration disku­tiert. Gleich­zeitig war die Diffe­ren­zierung der ENP in eine östliche, eine südliche und eine nördliche Dimension und die damit einher­ge­hende Bevor­zugung einzelner Regionen in der Runde umstritten. Die Bewertung der Bilanz der ENP fiel dementspre­chend zweige­teilt aus: Nach der ersten Sicht­weise wird die ENP als Erfolgs­ge­schichte verstanden, die es fortzu­führen gelte. Die Gegen­po­sition spricht hingegen von einer Fehlent­wicklung. So liefe die aktuelle Dynamik den ursprüng­lichen Zielen einer gemein­samen Nachbar­schafts­po­litik zuwider. Diver­si­fi­zie­rungs- und Regio­na­li­sie­rungs­ten­denzen würden nicht einge­dämmt, sondern gefördert.
Einigkeit herrschte jedoch über die grund­le­gende strate­gische Bedeutung der Europäi­schen Nachbar­schafts­po­litik für die Sicherheit der EU.

Energie- und Klima­po­litik – ein neues Projekt für Europa

Das dritte Podium setzte sich kritisch mit der noch jungen Energie- und Klima­po­litik der Europäi­schen Union ausein­ander. Dabei wurden vor allem die drei Aspekte Energie­ver­sor­gungs­si­cherheit, Klima­wandel und nachhal­tiger globaler Wettbewerb thema­ti­siert. Diese stellten den Podiums­teil­nehmern zufolge zugleich die größten Heraus­for­de­rungen für eine gemeinsame Energie- und Klima­po­litik der EU dar.
Insgesamt wurde der Union in bezug auf ihre bishe­rigen Bemühungen in der Energie- und Klima­po­litik ein überwiegend schlechtes Zeugnis ausge­stellt. Europäische Energie­po­litik sei bislang zuvor­derst als Wettbe­werbs­po­litik konzi­piert und damit von wirtschafts­po­li­ti­schen Erwägungen überlagert. Energie­po­litik bewege sich im Spannungs­ver­hältnis zwischen Binnen­markt und Außen­po­litik, wobei (geo-)politische Aspekte bislang vernach­lässigt würden. Der politische Dialog mit den energie­ex­por­tie­renden Staaten und eine länder- und regio­nal­spe­zi­fische Diver­si­fi­zie­rungs­stra­tegie seien jedoch insbe­sondere beim Thema Energie­ver­sor­gungs­si­cherheit essen­tiell. Für die EU müsse es zudem darum gehen, den Schwel­len­ländern finan­ziell wie techno­lo­gisch bei der Bekämpfung des Klima­wandels zu helfen. Dies gelte umso mehr, als eine Reihe großer Schwel­len­länder demnächst in die „schmutzige“ Phase der Indus­tria­li­sierung einträten und somit zur Haupt­be­lastung für das Klima würden. Parallel müsste ein funktio­nie­render Energie­bin­nen­markt geschaffen werden, der auch die Versor­ger­staaten mit einschließt.

Der Vertrag von Lissabon und die Zukunft Europas in einer globa­li­sierten Welt

Die vierte und letzte Podiums­sitzung richtete den Fokus auf die Frage nach der Zukunft des Vertrages von Lissabon und seinen insti­tu­tio­nellen Impli­ka­tionen, insbe­sondere im Bereich der Außen- und Sicher­heits­po­litik der Union. Zunächst wurden die möglichen Szenarien in bezug auf den Zeitpunkt und die Modali­täten des Inkraft­tretens des Vertrages von Lissabon nach dem negativen irischen Referendum besprochen. Bezüglich insti­tu­tio­neller Änderungen wurde insbe­sondere das Verhältnis zwischen den durch den Vertrag geschaf­fenen Posten eines ständigen Präsi­denten des Europäi­schen Rates und eines Hohen Reprä­sen­tanten der Union für Außen- und Sicher­heits­po­litik disku­tiert. Konkret ging es um die noch zu definie­rende insti­tu­tio­nelle Balance zwischen Präsident und Hohem Vertreter im Bereich der GASP sowie die Frage nach der konkreten Ausge­staltung ihres adminis­tra­tiven Unterbaus, insbe­sondere in Form des geplanten Europäi­schen Auswär­tigen Dienstes (EAD).
Mit Blick auf die EU als globaler Akteur beurteilten die Podiums­teil­nehmer die europäische Reaktion auf den Kaukasus-Konflikt insgesamt als gut koordi­niert und effektiv. Dies beweise, dass die EU auch ohne die insti­tu­tio­nellen Innova­tionen des neuen Vertrags­werkes handlungs­fähig sei. Dass der Kaukasus-Konflikt aufgrund einer fehlenden koordi­nierten Krisen­prä­vention seitens der EU nicht habe verhindert werden können, wurde von den Podiums­teil­nehmern jedoch als Schwäche der EU aufge­fasst. Hieraus müsse die EU Lehren ziehen, beispiels­weise indem der präventive Zweig der GASP gestärkt würde. Gleich­zeitig wurde zu Recht darauf verwiesen, dass die EU Dritte auch nur dann wirksam beein­flussen könne, wenn diese hierfür offen seien.
Abschließend wurde einstimmig die gute Außen­wirkung der Europäi­schen Union unter­strichen. Trotz manch interner Unstim­mig­keiten wirke die EU nach außen hin geschlossen, ihre Positionen würden als einheitlich und abgestimmt wahrgenommen.

Obwohl einzelne Aspekte, wie etwa die Frage nach den Motiven der russi­schen Außen­po­litik unter Medwedjew und Putin aufgrund unter­schied­licher histo­ri­scher Erfah­rungen von Teilnehmern aus den balti­schen Staaten und den anderen EU-Ländern teilweise kontrovers disku­tiert wurden, verlief die Argumen­tation überwiegend nicht entlang natio­naler Trenn­linien. Vielmehr verdeut­lichte das Forum eine grund­le­gende Konvergenz zwischen deutschen, nordi­schen und balti­schen Positionen zu den außen- und sicher­heits­po­li­ti­schen Priori­täten und Heraus­for­de­rungen der EU. Ungeachtet gewisser Diver­genzen in einzelnen Sachfragen, bleibt die EU nach Meinung der Konfe­renz­teil­nehmer der zentrale Handlungs­rahmen für die betei­ligten Regie­rungen auch und gerade vor dem Hinter­grund neuer und bisher nicht gekannter Krisen wie etwa im Finanzbereich.

Die Resonanz auf das erste German-Nordic-Baltic Forum war durchweg positiv. Alle Betei­ligten sprachen sich ausdrücklich für eine Fortsetzung des Gesprächs­forums im nächsten Jahr aus.

Von: Max Conzemius, Mariella Falkenhain, Gesa Storz

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