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Veranstaltungsbericht Mittagsgespräch digital: Die Zukunft der EU und Europaskeptizismus – deutsche Perspektiven in Zeiten der COVID-19-Pandemie

Am 8. Oktober 2020 veran­staltete das Institut für Europäische Politik (IEP) vor dem Hinter­grund der Veröf­fent­li­chung des Buches „Euros­cep­ticism and the Future of Europe – Views from the Capitals“ das dritte „Mittags­ge­spräch digital“ zum Thema „Die Zukunft der EU und Europa­skep­ti­zismus: deutsche Perspek­tiven in Zeiten der COVID-19-Pandemie“. Im Mittel­punkt der Diskussion stand der Einfluss der Pandemie auf Europa­skep­ti­zismus in Deutschland und Europa und die Frage, ob und wie die Europäische Union (EU) dieser Entwicklung entschlossen entge­gen­treten kann. Der Gast unseres dritten digitalen Mittags­ge­sprächs, Daniel Freund, Mitglied des Europäi­schen Parla­ments für die Fraktion der Grünen / Freie Europäische Allianz disku­tierte gemeinsam mit Dr. Katrin Böttger, Direk­torin am IEP, und den über 70 Teilnehmer:innen insbe­sondere den Umgang mit Europa­skep­ti­zismus. Das Mittags­ge­spräch wurde von Prof. Dr. Michael Kaeding, Jean-Monnet-Professor „ad personam“ an der Univer­sität Duisburg-Essen und Mither­aus­geber des Buches „Euros­cep­ticism and the Future of Europe – Views from the Capitals“ moderiert. Georg Pfeifer, Leiter des Verbin­dungs­büros des Europäi­schen Parla­ments in Deutschland, begrüßte die Teilnehmenden.

Bereits in ihren Eingangs­state­ments verwiesen die Redner:innen darauf, dass nicht jede Kritik an Europa bezie­hungs­weise der Europäi­schen Union auch Europa­skep­ti­zismus oder gar populis­ti­scher Europa­skep­ti­zismus sei. Diese Kritik müsse man jedoch, gerade wenn man die Zukunfts­per­spek­tiven der EU disku­tiere, berück­sich­tigen und ernst nehmen. Zudem wurde bereits zu Anfang der Debatte heraus­ge­stellt, dass der Status quo der EU nicht länger haltbar sei und es Reform­bedarf gäbe. Globale Probleme und Krisen wie der Klima­wandel, ein sich verän­derndes Macht­gefüge innerhalb der inter­na­tio­nalen Ordnung und die COVID-19-Pandemie könnten nicht von einzelnen Staaten und Regie­rungen Europas bewältigt werden. Hier eröff­neten sich nun zwei Wege, die die EU einschlagen könne: Entweder wird der Prozess der europäi­schen Integration auch in weiteren Politik­be­reichen fortge­führt oder es wird der zweite Weg gewählt und man kehrt zurück zu natio­nalen Lösungen. Während Daniel Freund und Dr. Katrin Böttger eindeutig für einen gemein­samen Weg über die Europäische Union plädieren, fordern Europaskeptizist:innen häufig ihren Rückbau.

Im Zentrum der anschlie­ßenden Diskussion mit den Teilneh­menden stand vor allem der Umgang mit Europa­skep­ti­zismus. So wird konsta­tiert, dass gerade in Deutschland der große Konsens in der Debatte um die Zukunft der EU verloren gegangen und die Kritik an ihr lauter geworden sei. Aller­dings könne eine Schwarz­ma­lerei der EU und eine Funda­men­tal­op­po­sition von Parteien wie der AfD nicht die Lösung sein: Vielmehr sollte man ein Signal setzen und einen ergeb­nis­of­fenen Diskurs über die Zukunft der EU führen. Nur so könne man den Bürger:innen Europas vermitteln, dass ihre Kritik ernst genommen werde. Man dürfe Europa­skep­ti­zismus nicht generell verteufeln und kritische Einwände nicht ignorieren. Vielmehr könne nur ein regel­mä­ßiger Austausch und intensive Debatten zu einem gegen­sei­tigen Verständnis führen. Die Teilneh­menden appelierten an die Politiker:innen Europas, sich der Debatte mit Europa­skep­tikern zu stellen und  Argumente zu liefern, warum eine Renatio­na­li­sierung keine Lösung für die globalen Heraus­for­de­rungen sei. Wichtig sei hier insbe­sondere, den Bürger:innen in einem gesell­schaft­lichen Struk­tur­wandel Halt und Sicherheit zu geben, ihnen gegenüber jedoch auch ehrlich zu bleiben und mögliche Schwie­rig­keiten und Probleme nicht zu verschweigen.

Abschließend wurde die Frage disku­tiert, wie man die Debatte um COVID-19 in Europa führen solle. Solida­rität sei ein „alt-neues“ Narrativ, dass ebenso wie Ideen von „Wohlstand“ und „Frieden“ wieder auf die Agenda der EU gehöre. In der Diskussion wurde vor allem auf die unter­schied­lichen Wahrneh­mungen der europäi­schen Staaten Bezug genommen: Während in Deutschland beispiels­weise die Wahrnehmung herrsche, dass gerade Frank­reich und Italien während der ersten Welle der Pandemie viel Unter­stützung erhalten hätten, verloren die Italiener:innen in dieser Zeit enorm an Vertrauen in die EU. Geschlossene europäische Grenzen blieben in den Köpfen der Bürger:innen präsenter als finan­zielle Solida­rität. Europa­skep­ti­zismus entstehe insbe­sondere dann, wenn die Solida­rität innerhalb Europas nicht mehr wahrge­nommen werde. Die EU müsse sich daher, gerade in schwie­rigen Zeiten wie während der Pandemie zu gemein­samen, solida­ri­schen Lösungen bekennen, um diesen Grund­ge­danken Europas wieder aufleben zu lassen.


Die Veran­staltung wurde in Koope­ration mit der Trans European Policy Studies Assocation (TEPSA) und der freund­lichen Unter­stützung des Auswär­tigen Amtes, der Europäi­schen Kommission, der Otto Wolff-Stiftung durchgeführt.

Autor: Lukas Kolloge, IEP-Berlin