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9. Deutsch-Französischer Dialog – Europa weiter denken

Blick in den Konferenzraum: Plenum und Podium

Während des 9. Deutsch-Franzö­si­schen Dialogs disku­tierten ca. 150 Teilneh­me­rinnen und Teilnehmer gemeinsam mit renom­mierten Experten die Heraus­for­de­rungen an die EU im Hinblick auf die Themen Einwan­derung und Integration. Kaum ein EU-Staat, in dem heute keine Debatte über Einwan­derung oder Integration geführt wird: Deutschland disku­tiert über Einbür­ge­rungs­tests und Bildungs­chancen der „3. Generation von Zuwan­derern“, Frank­reich über Chancen­gleichheit und „immigration choisie“, in den Nieder­landen steht die lange prakti­zierte Politik des Multi­kul­tu­ra­lismus in Frage, Spanien, Italien und Portugal rufen um Unter­stützung beim Umgang mit der illegalen Einwan­derung über das Mittelmeer, und auch viele osteu­ro­päische EU-Staaten sind heute Ziel von Migration.

Die jewei­ligen histo­ri­schen Erfah­rungen, die natio­nalen Selbst­bilder und somit auch die Debatten zu Migration und Integration unter­scheiden sich dabei (stark) von einem Staat zum anderen. Gerade auch Deutschland und Frank­reich haben völlig andere „mentale und emotionale Landkarten“ zu diesem Thema: Ausblendung ethni­scher und kulturell-religiöser Kriterien sowie Integration als „Citoyen“ in die „République“ dort, Betonung ebendieser Kriterien und spezi­fische Förderung von Ausländern hier.

Und doch sind die Phänomene, mit denen sich die Mehrzahl der EU-Staaten ausein­ander-setzen muss, im Kern sehr ähnlich: demogra­phi­scher Wandel und die Notwen­digkeit von Zuwan­derung, Wettbewerb um die besten Köpfe weltweit, Flücht­lings­be­we­gungen aufgrund zuneh­mender wirtschaft­licher Unter­schiede zwischen Nord und Süd, Schwie­rig­keiten bei der Integration hier lebender und neu einge­wan­derter Menschen.

Die vom Institut für Europäische Politik veran­staltete Arbeits­gruppe 3 hat sich unter dem Thema „Chancen (und Risiken) einer europäi­schen Zuwan­de­rungs­po­litik“ mit Zukunfts­fragen einer europäi­schen Zuwan­de­rungs­po­litik beschäftigt und diese aus dem Blick­winkel Deutsch­lands, Frank­reichs und Polens erörtert. Dabei wurde zunächst deutlich, dass die natio­nalen migra­tions- und integra­ti­ons­po­li­ti­schen Heraus­for­de­rungen in diesen drei EU-Mitglied­staaten so unter­schiedlich sind, dass Inter­essen und Wahrneh­mungen der politi­schen Akteure nicht deckungs­gleich sein können. Während Deutschland und Frank­reich sich primär mit Fragen von Einwan­derung, Asyl und Integration ausein­an­der­setzen, beschäf­tigen sich polnische Entschei­dungs­träger vielmehr mit der Frage, wie der sogenannte „brain drain“, d.h. die Abwan­derung von quali­fi­zierten inlän­di­schen Arbeit­nehmern, einge­dämmt werden kann. Polen steht zudem als Mitglied­staat mit EU-Außen­grenzen zu Weißrussland und zur Ukraine vor beson­deren Heraus­for­de­rungen der Grenz­si­cherung und Kriminalitätsbekämpfung.

Vor dem Hinter­grund mehrerer Referenten-Beiträge debat­tierten die Teilnehmer der Arbeits­gruppe 3 folgende Fragen mit Blick auf eine mögliche Zielsetzung der europäi­schen Zuwan­de­rungs­po­litik kontrovers: In welchen Bereichen kann die Verge­mein­schaftung der Zustän­dig­keiten sinnvoll sein? Können deutsche wie franzö­sische Akteure einer gemein­samen Asylpo­litik zustimmen? Sollte es europäische Quoten­re­ge­lungen für Asyl und legale Arbeits­mi­gration geben oder sollte jegliche aktive Anwerbung von Arbeits­kräften besser nur national geregelt werden? Wie kann es zudem gelingen, dass Überle­gungen zu der Steuerung von legaler und illegaler Migration nach Europa sachlich und nicht vor dem Hinter­grund von Bedro­hungs­sze­narien besprochen werden?

Zusam­men­fassend unter­strichen die Panel­listen und Teilnehmer der Arbeits­gruppe 3 folgende Punkte:

1. Im Vergleich zu anderen EU-Politik­be­reichen ist auch die konkrete Ausge­staltung einer gemein­samen europäi­schen Migra­ti­ons­po­litik abhängig von der Bereit­schaft der einzelnen Mitglied­staaten, Souve­rä­nität im Bereich Zuwan­derung (Einwan­derung, Visa, Asyl) abzugeben.
2. Die gemeinsame Außen­handels- und Entwick­lungs­po­litik sowie der gemeinsame Binnen­markt erfordern langfristig eine gemeinsame Migra­ti­ons­po­litik, welche auf die erstge­nannten Politiken abgestimmt sein sollte.
3. Es bestehe ein direkter Zusam­menhang zwischen der inneren wirtschaft­lichen Entwicklung in der EU, deren Grenz­si­che­rungs- und Nachbar­schafts­po­litik und der wirtschaft­lichen Entwicklung in den EU Nachbar- oder Drittstaaten.
4. Eine (auch mit Blick auf legale Migration) positive, gemeinsame Einwan­de­rungs­po­litik ist dann am wahrschein­lichsten, wenn die EU-Mitglied­staaten auf Grund der für die natio­nalen Wirtschafts- und Sozial­systeme ungüns­tigen demogra­phi­schen Entwicklung und des Mangels an quali­fi­zierten Arbeits­kräften weiter unter Zugzwang gerieten.
5. Es sei jedoch vor dem Hinter­grund der diver­genten natio­nalen Ausgangs­lagen davon abzuraten, die Gestaltung der legalen Einwan­derung in nationale Arbeits­märkte ausschließlich europäisch zu regeln.
6. Ein europäi­sches Vorgehen sei besonders in den Bereichen sinnvoll, so die Mehrheit der Teilnehmer, wo eine ausschließlich nationale Kompetenz negative externe Effekte mit sich bringen könne. Asylfragen seien etwa von einzelnen Mitglied­staaten allein weder steuer- noch finan­zierbar (Beispiel Spanien).
7. In diesem Kontext sei die Solida­rität zwischen den Mitglied­staaten entscheidend. Des Austau­sches von bewährten Praktiken und der gegen­sei­tigen finan­zi­ellen Unter­stützung bedürften insbe­sondere jene Mitglied­staaten, welche die meisten Asylan­träge erhielten und illegale Einwan­derer aufnehmen müssten.
8. Da die EU eine Werte­ge­mein­schaft sei, müssten ihre Werte­grund­sätze (wie z.B. Menschen­rechte, Solida­rität) ebenso bei Fragen von Asyl und Integration gelten.
9. Konzepte der „verstärkten Zusam­men­arbeit“ zwischen einzelnen EU-Mitglied­staaten seien zwar in Bereichen der Vertei­di­gungs- und Sicher­heits­po­litik denkbar, vor dem Hinter­grund der beschrie­benen diver­genten natio­nalen Ausgangs­lagen im Bereich Migration und Asyl jedoch eher fraglich.
10. Ein übergrei­fendes, europäi­sches Meta-Konzept, das als Grundlage für eine gemeinsame Migra­tions- und Integra­ti­ons­po­litik dienen könnte, existiere bislang nicht.

Tagungs­be­richt:

Eine Druck­version des ausführ­lichen Tagungs­be­richts sowie den Rundbrief zum
Deutsch-Franzö­si­schen Dialog können Sie hier bestellen bzw. abonnieren.

Über die Initiative:

Der „Deutsch-Franzö­sische Dialog – Europa weiter denken“ wurde von der ASKO EUROPA-STIFTUNG 1999 mit dem Ziel ins Leben gerufen, ein deutsch-franzö­si­sches Diskus­si­ons­forum einzu­richten, auf dem die bisher national geführten Zukunfts­de­batten über Europa in einen innova­tiven und produk­tiven deutsch-franzö­si­schen Dialog zusam­men­ge­führt werden. Seitdem hat sich die jährlich statt­fin­dende Arbeits­tagung zu einem der bedeu­tendsten deutsch-franzö­si­schen Foren für europäische Zukunfts­fragen entwi­ckelt, die den Dialog auf der Regie­rungs­ebene sinnvoll ergänzt.

Veran­stalter:

ASKO EUROPA-STIFTUNG, Saarbrücken

in Koope­ration mit:
Institut für Europäische Politik, Berlin
Deutsch-Franzö­si­sches Institut, Ludwigsburg
Lehrstuhl für Außen­po­litik und Int. Bezie­hungen, Univer­sität Trier
Centre Inter­na­tional de Formation Européenne, Nizza/ Berlin
Von: Gesa-Stefanie Brincker