Forschungsergebnisse: Protest und zivilgesellschaftliche Mobilisierung in Belarus

“Prospects of Post-Authoritarian Transformation in Belarus: Tracing Civic and Political Initiatives for Democracy Promotion” von Vasil Navumau und Olga Matveieva
Die EurasiaLab Fellows
Vasil Navumau, PhD in Soziologie, ist Visiting Fellow am Center for Advanced Internet Studies (Bochum) und zivilgesellschaftlicher Aktivist. Er ist Autor einer Monographie sowie verschiedener Publikationen zu Protestbewegungen in Belarus und russischer Desinformation in Belarus. Olga Matveieva, PhD in öffentlicher Verwaltung, ist Associate Professor am Institute for Public Administration. Ihre Forschungsinteressen umfassen E‑Governance, „contentious politics“, Gender-Fragen sowie globale Herausforderungen für öffentliche Verwaltungssysteme. Vasil und Olga veröffentlichten mehrere in Ko-AutorInnenschaft verfasste Artikel mit einer vergleichenden Perspektive zu den Protesten in Belarus („Revolution of Consistency“) und in der Ukraine (Euromajdan) sowie zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Geschlechtergleichstellung in den beiden Ländern.
Projektbeschreibung und Methoden
Das Projekt zielte darauf ab, zivilgesellschaftliche Initiativen zu erfassen, die während der Massenmobilisierung nach der Fälschung der Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Belarus im Jahr 2020 entstanden sind. Es analysierte zivilgesellschaftliche Initiativen, um sie mit den bestehenden Instrumenten der Östlichen Partnerschaft und den EU-Mechanismen zur Erweiterung des Dialogs über eine friedliche Konfliktlösung in Belarus zu verbinden.
Um alle relevanten Initiativen zu identifizieren, prüften die Fellows erstens die Berichterstattung der wichtigsten belarussischen Medien ab August 2020. Zweitens führten sie Interviews mit zivilgesellschaftlichen AktivistInnen und EU-VertreterInnen durch, um die Kapazitäten und den Einfluss der genannten Gruppen von Initiativen zu analysieren. Eine eingehende Analyse der Chancen und aktuellen Möglichkeiten der Republik Belarus zielte anschließend darauf ab, Strategien für die weitere Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft zu identifizieren.
Projektergebnisse
Die weißrussischen Proteste in den Jahren 2020–2021 führten zu einem explosionsartigen Wachstum zivilgesellschaftlicher Initiativen, die auf die brutalen Praktiken der Behörden und die manipulierten Wahlen reagierten. Um sich den Behörden zu widersetzen, ihre Agenda voranzutreiben und die Menschenrechte zu fördern, bedienten sich zivilgesellschaftliche AktivistInnen kreativer und innovativer Methoden.
Die Recherche identifizierte rund 70 zivilgesellschaftliche Initiativen, die mehrere Bereiche abdeckten, wie (unter anderem) finanzielle Unterstützung für verhaftete DemonstrantInnen, medizinische Hilfe, Unterstützung für Streikkomitees oder Studierende, Unterstützung für ehemalige „Siloviki“ (Bereitschaftspolizei), Unterstützung bei Umschulungen, der Erstellung von schwarzen Listen von Unternehmen, die Bereitstellung von Werkzeugen für die Neuauszählung von Stimmen, psychologische Hilfe oder Unterstützung unabhängiger Medien. Die Initiativen konzentrierten sich zumeist auf die direkte Hilfe für BelarussInnen, die unter den brutalen Repressionen litten, die von den Behörden zur Niederschlagung der Massenproteste eingesetzt wurden. Menschen mit unterschiedlichen Einkommensverhältnissen waren in wirtschaftlich unterschiedlichem Maße von den Protesten und der Coronavirus-Pandemie betroffen. Mehrere Initiativen legten ein besonderes Augenmerk auf bestimmte Zielgruppen auf der Basis von Geschlecht, Alter oder sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Kriterien. Die Fellows entwickelten eine Infografik, die die identifizierten Initiativen und ihre thematischen Schwerpunkte aufzeigt und gleichzeitig ihren Innovationsgrad sowie ihre gesellschaftliche und politische Relevanz bewertet.
Die Forschung kommt zu dem Schluss, dass die Bewegung, die als „Belarussisches Erwachen“ bezeichnet wurde, nicht als isolierte Reaktion auf die Repressionen der Regierung gesehen werden sollte, sondern als Fortsetzung breiterer Trends, die die belarussische Zivilgesellschaft seit der zweiten Hälfte der 2010er Jahre prägen.
Projekterzeugnisse
Mehr über das Projekt von Olga und Vasil erfahren Sie hier im „Eurasia on the Move“-Podcast #1: Belarus.
Darüber hinaus finden sich die wichtigsten Ergebnisse in dem wissenschaftlichen Artikel “Telegram Revolution: Technical and Conceptual Innovations of the 2020 Belarusian Protest”, der bei der Fachzeitschrift Canadian Slavonic Papers eingereicht wurde.